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Gedenkstätte Bernburg Gedenkstätte Bernburg: Dielen vor der Gaskammer faulen

Von Torsten Adam 16.06.2016, 14:43
Die Dielen, über die tausende Menschen in den Tod geschickt wurden, haben keinen fachgerechten Unterbau. Für Besucher bestehe akute Einbruchsgefahr, stellte ein Gutachter fest.
Die Dielen, über die tausende Menschen in den Tod geschickt wurden, haben keinen fachgerechten Unterbau. Für Besucher bestehe akute Einbruchsgefahr, stellte ein Gutachter fest. Engelbert Pülicher

Bernburg - Für Sachsen-Anhalts jüngst abgeschafften Werbeslogan „Wir stehen früher auf“ hat Daniel Riecke nur ein mitleidiges Lächeln übrig. Der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins der Bernburger Gedenkstätte hat zuletzt eher den Eindruck gewonnen, dass die Landesbehörden gar nicht erst aufgewacht sind und spricht von einer „Verwaltungsposse“.

Die Gedenkstätte für die Opfer der NS-„Euthanasie“ befindet sich auf dem Gelände des Bernburger Salus-Fachklinikums und erinnert an die einst dort untergebrachte Tötungsanstalt. Die Nazis ließen 9.385 kranke und behinderte Menschen zwischen November 1940 und Juli 1943 mit Kohlenstoffmonoxid ermorden.

Auf gleiche Weise wurden rund 5.000 KZ-Häftlinge in der Gaskammer umgebracht. Es ist umstritten, ob die zahlreichen Proteste hoher Geistlicher und anderer Honoratioren, das in der deutschen Bevölkerung verbreitete Wissen oder der Abwurf englischer Flugblätter den Ausschlag für den Abbruch der Gasmorde und die Fortsetzung in dezentraler Form durch Nahrungsentzug oder Medikamente gaben.

Der aus dem Griechischen stammende Begriff „Euthanasie“ bezeichnete ursprünglich einen aus Sicht des Sterbenden „guten Tod“, wurde aber von den Nazis für ihre systematischen Morde umgedeutet. (tad)

Seit nunmehr neun Monaten harrt ein Förderantrag der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, Träger der Gedenkstätte für die Opfer der NS-„Euthanasie“, beim Landesverwaltungsamt auf seine Genehmigung. Der Inhalt birgt Zündstoff: Der denkmalgeschützte Holzfußboden vor der Gaskammer ist an manchen Stellen nur noch fünf Millimeter dick, für die Besucher besteht akute Einbruchsgefahr, stellte ein Restaurator in einem Gutachten fest.

Das Problem: Die Dielen, über die zwischen 1940 und 1943 tausende unschuldige Menschen in den Tod geschickt wurden, haben keinen fachgerechten Unterbau.

„Sie faulen von unten durch“, sagt Riecke. Laut Bausachverständigen koste die Behebung des Schadens in zwei Räumen rund 6500 Euro, erledigt in zwei Arbeitstagen.

Teilabsperrung droht

Eigentlich fast nicht der Rede wert. Doch wer das annimmt, macht die Rechnung ohne die Bürokratie. Bis heute hat das Landesverwaltungsamt die von ihm verwalteten Lotto-Toto-Gelder nicht ausgezahlt. In der Gedenkstätte ist man deshalb der Verzweiflung nah.

„Wenn nicht bald etwas passiert, wird die Leiterin den Keller der Gedenkstätte in den Sommerferien aus Sicherheitsgründen schließen müssen“, sagt der Vizechef des Fördervereins.

Die 700 Schüler, die jeden Monat kommen, um Einblicke in eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zu bekommen, müssten sich dann ebenso mit einer Powerpoint-Präsentation begnügen wie viele weitere interessierte Besucher, warnt Riecke.

Aus dem Landesverwaltungsamt hingegen heißt es von Sprecherin Denise Vopel: „Uns fehlen wesentliche Unterlagen zur Antragsbearbeitung“. Dies sei zum einen ein langfristiger Mietvertrag mit dem Eigentümer des Gebäudes, in dem die Gedenkstätte untergebracht ist, die Salus gGmbH. Denn die Fördermittel sollen nachhaltig eingesetzt werden.

Theoretische Annahme von Bürokraten

Theoretisch, so die Annahme der Bürokraten in Halle, könnte es nämlich passieren, dass die landeseigene Salus gGmbH den aktuellen Mietvertrag mit der landeseigenen Stiftung einfach kündigt und das Geld dann weg ist. Theoretisch. Zum anderen wird eine baufachliche Begleitung durch den Landesbetrieb Bau- und Liegenschaftsmanagement Sachsen-Anhalt, kurz BLSA, gefordert.

„Dies ist im Übrigen vertraglich geregelt und festgeschrieben“, so Denise Vopel. Das wiederum sehen Förderverein wie Stiftung ganz anders. Laut André Merten, amtierender Stiftungsdirektor, existiere zwar eine Grundsatzvereinbarung, dass der BLSA alle Bauunterhaltungen der Stiftung ab einem Volumen von 5.000 Euro betreut. Doch in diesem speziellen Fall gehe es um den Erhalt von denkmalgeschützter Substanz. „Dafür hat der Landesbetrieb aber weder Kapazitäten noch Restauratoren“, sagt Riecke.

Und Stiftungsdirektor Merten fragt sich, weshalb noch eine zweite Instanz hinzugezogen werden muss, wenn bereits ein sachkundiger Restaurator bereit steht. Wie es weiter geht, ist offen. Zwar ist der Abschluss eines langfristigen Mietvertrages laut Stiftungsdirektor auf einem guten Weg, der zweite Streitpunkt aber nach wie vor „im Ungefähren“.

Ministerium schweigt

„Man hat den Ernst der Lage offenbar immer noch nicht erkannt. Typisch öffentliche Verwaltung“, schimpft Riecke, im Hauptberuf freiberuflicher Ahnenforscher. Er schätzt, dass der ganze Verwaltungsakt inzwischen mehr gekostet hat als das Sanierungsvorhaben selbst.

Unterdessen lässt die (Nicht)-Reaktion des Landesfinanzministeriums, das die Öffentlichkeitsarbeit für den BLSA erledigen soll, darauf schließen, dass eine Änderung des Werbeslogans in „Willkommen im Land der Spätzünder“ nicht ganz abwegig wäre. Eine schriftliche MZ-Bitte um Stellungnahme zur Problematik blieb, auch auf nochmalige Nachfrage, seit dem 6. Juni unbeantwortet.  (mz)