Beitragsabzocke Beitragsabzocke in Bernburg: Anlieger hinters Licht geführt

Bernburg - „Mit einem fremden Mannes Arsch ist gut durchs Feuer fahren“: Adolf Spotka zieht ein Luther-Zitat heran, um die Vorgänge in seiner Straße just im Jahr des Reformationsjubiläums zu beschreiben.
Ihm und seinen Nachbarn hat die Stadtverwaltung ein „luxuriöses Geschenk aufgezwungen“, wie er sagt. Für 40.000 Euro wird derzeit der Gehweg der Otto-Siegel-Straße, einer kleinen Parallelstraße zur Ilberstedter Straße in Bernburg, auf einer Länge von 290 Metern neu gepflastert.
Beitragsabzocke in Bernburg: Alle hinters Licht geführt
75 Prozent der endgültigen Kosten sollen die 13 betroffenen Grundstückseigentümer tragen. „Für jeden von uns dürften das durchschnittlich 3.000 Euro sein“, schätzt Spotka.
Der langjährige Landtagspräsident und seine Nachbarn wollen das aber nicht hinnehmen. Und sie wären wohl nicht chancenlos, einen möglichen Rechtsstreit zu gewinnen. Denn die Verwaltung hat sowohl die Öffentlichkeit als auch Stadträte hinters Licht geführt.
Beitragsabzocke in Bernburg: Ausschuss hat das Programm abgesegnet
Der Reihe nach: Am 8. Dezember 2016 liegt dem Hauptausschuss das Reparaturprogramm der Stadt vor. 450.000 Euro sind im Haushalt 2017 berücksichtigt, um zwei Fahrbahnen und sieben Fußwege instand zu setzen sowie Kleinreparaturen vornehmen zu lassen.
Mit keiner Silbe wird im Beschlussvorschlag erwähnt, dass Anwohner finanziell beteiligt werden. Das Wort „Instandsetzung“ lässt keinen Deutungsspielraum zu, derartige Maßnahmen sind laut Rechtsprechung komplett von der Kommune zu zahlen.
Einstimmig segnet das Gremium das Programm ab.
Beitragsabzocke in Bernburg: SPD-Fraktionschef Peter Eckert fühlt sich übertölpelt
Einer, der damals die Hand hob, ist Peter Eckert. „Ich ging davon aus, dass es sich um eine Instandsetzung und keinen Ausbau handelt“, begründet der SPD-Fraktionschef seine Entscheidung und fühlt sich nun - von der MZ mit den neuen Informationen konfrontiert - übertölpelt.
Zumal Ausbau-Projekte üblicherweise einzeln beraten werden.
„Man hätte uns erläutern müssen, weshalb Beiträge erhoben werden sollen.“
Passiert ist dies im Hauptausschuss aber nicht - weder mündlich noch schriftlich. Das bestätigen unisono ebenfalls Eberhard Balzer (Die Linke) und Detlef Mannich (CDU) nach Blick ins Sitzungsprotokoll.
Beitragsabzocke in Bernburg: Hat sich die Stadt den Beschluss erschlichen?
Dies nährt den Verdacht, dass sich die Stadtverwaltung den Beschluss erschlichen hat. Die im Kommunalabgabengesetz (KAG) des Landes festgelegte Bürgerbeteiligung bei beitragsfinanzierten Maßnahmen blendet sie völlig aus.
Laut KAG ist spätestens einen Monat vor dem Beschluss eine Anliegerversammlung einzuberufen. Dazu kommt es aber erst im März - und offenbar nur auf Drängen der Anwohner.
In zwei Schreiben wenden sie sich an Oberbürgermeister Henry Schütze (parteilos), nachdem sie aus der MZ erfuhren, dass ihr Gehweg in Stand gesetzt werden soll. Kurz darauf kriegen sie spitz, dass sie dafür zur Kasse gebeten werden sollen.
Per Unterschrift lehnen sie einhellig einen Ausbau ab, raten zu einer Reparatur, „weil unsere Gehwege keine Bedeutung für den städtischen Fußverkehr haben und überwiegend nur von den Anwohnern genutzt werden“. Gleichzeitig bitten sie darum, an der Planung beteiligt zu werden.
Beitragsabzocke in Bernburg: Vor vollendete Tatsachen gestellt
Doch sie werden vor vollendete Tatsachen gestellt: „Wir können nichts mehr dagegen machen, das hat uns Dezernent Dittrich gleich zu Beginn der Versammlung zu verstehen gegeben“, erinnert sich eine Anwohnerin.
Für Adolf Spotka ist das eine Farce: „Eine Versammlung ergibt nur Sinn, wenn Entscheidungen auch noch beeinflusst werden können. Hier waren aber bereits alle Messen gesungen“ - anders als in Leau, wo Anwohner vor Projektstart erfolgreich mobil gegen die Stadt-Pläne gemacht hatten.
Seit Mitte Juni wird in der Otto-Siegel-Straße gebuddelt. Erst erneuert der Wasserverband kostenpflichtig die Abwasserhausanschlüsse, am 8. Juli rückt eine hallesche Baufirma an, um die alten DDR-Gehwegplatten zu beseitigen.
Auf eine Art und Weise, über die die Anwohner den Kopf schütteln. „Da wurde jede Platte mit riesigen Baumaschinen rausgeholt, eine Schippe hat niemand in die Hand genommen“, berichtet Günter Buschmann.
Beitragsabzocke in Bernburg: Firma verschwunden und es bleiben offene Gehwege
Dann, am 10. August, ist die Firma plötzlich weg und lässt einen aufgerissenen Gehweg zurück. Über die Gründe der folgenden zweiwöchigen Pause werden die Anlieger im Unklaren gelassen.
Dabei hat die Verwaltung in der Beschreibung des Bauablaufes selbst vorgegeben: „Die Arbeiten sind zügig und ohne Unterbrechung auszuführen.“ Mittlerweile ist die Vollsperrung um weitere drei Wochen verlängert worden.
Beitragsabzocke in Bernburg: Anwohner fürchten eine Kostenexplosion
Die Anwohner fürchten, dass die Kosten aus dem Ruder laufen. Denn der Gehweg - so ein Gerücht - soll ohne Rüttelplatte befestigt werden.
Die Häuser stehen auf fragilem Untergrund einer alten Aschenkiete, haben Risse in der Fassade von früheren Salzsprengungen und sind zum Teil aus leichtem Mauerwerk errichtet worden. Jede starke Erschütterung könnte gefährlich werden.
Die Verwaltung rechtfertigt ihr Vorgehen damit, dass der tatsächliche Umfang der Erneuerung dafür maßgeblich sei, ob Beiträge erhoben werden dürfen.
Der Stadtrat sei im nichtöffentlichen Teil am 9. März informiert worden, so der Oberbürgermeister. Wieso nicht die Öffentlichkeit, geht aus seiner Antwort nicht hervor. Und ersetzt eine Information einen Beschluss?
Ebenso merkwürdig: Im Haushaltsplan, den der Stadtrat im Januar verabschiedet, taucht das Projekt nicht auf. Die entsprechende Haushaltsstelle ist offenbar erst nachträglich eingefügt worden.
Beitragsabzocke in Bernburg: Regelmäßige Unterhaltung?
Juristisch angreifbar könnte das Beitragsbegehren noch aus anderem Grund sein. Laut Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Nordrhein-Westfalen dürfen Kommunen selbst nach Ablauf der üblichen Nutzungsdauer nur dann Beiträge für die Erneuerung nehmen, wenn sie die Straße zuvor „laufend unterhalten und instand gesetzt haben“.
Beitragsabzocke in Bernburg: Seit 47 Jahren nichts an den Gehwegen gemacht
Schütze behauptet zwar: „In der Otto-Siegel-Straße wurden immer wieder kleinflächige Instandsetzungsarbeiten durchgeführt, zuletzt im Jahr 2013.“
Doch Spotka kontert: „Die Gemeinde hat 25 Jahre lang weder die Gehwege unterhalten noch nach Hinweisen zu Beschädigungen durch schwere Lkw wieder instand gesetzt.“
Nachbar Günter Buschmann setzt noch einen drauf: „Ich wohne hier seit 47 Jahren, seitdem ist an dem Gehweg nichts gemacht worden.“ Lediglich zwei Warnbaken hatte die Stadt zur Absicherung an zwei schadhaften Stellen aufgestellt. (mz)