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Unterricht mit Kribbeln im Bauch

Von Dennis Lotzmann 30.09.2004, 20:28

Falkenstein/Harz/MZ. - Konzentriertes Beobachten, schwierige Körperbeherrschung, anspruchsvolle Übungen. Das, was rund 200 Schüler der Grund- und Sekundarschule in Ermsleben (Stadt Falkenstein / Harz) diese Woche im Rahmen ihres regulären Schulunterrichtes machen, erinnert an das geschäftige Treiben vor und hinter dem großen Vorhang einer Zirkusmanege. Konzentriert wird beobachtet, wie die Klassenkameraden agieren, wie sie Hunde dressieren, im Trapez perfekte Körperbeherrschung präsentieren oder mutig-stehend auf dem Rücken von Pferd "Otto" unter der Kuppel galoppieren.

Verkehrte Welt in Ermsleben: In der Manege, in der sonst Artisten und Clowns mit tollkühnen Darbietungen und Späßen für Beachtung und Heiterkeit sorgen, haben die Schüler das Zepter übernommen. Sie studieren seit Montag ein knapp zweistündiges Programm ein, das sie am Freitag Eltern, Großeltern sowie interessierten Besuchern zeigen wollen.

Der siebenjährige Leo wird dann, wie er sichtlich stolz berichtet, mit Hund Rocky in der Manege stehen. Sorgt das jetzt schon für Lampenfieber und Aufregung? Leon lächelt, es mache vor allem Spaß, schmunzelt der Zweitklässler. Überhaupt ist den Kindern aus den Grundschulklassen, die gerade mit den Zirkusleuten ihre Stücke einstudieren, absolut keine Aufregung anzumerken. Fast schon wie Profis agieren sie im Rund unter der Kuppel von Zirkus "Casselly", balancieren über das gespannte Seil, lassen Hund Schiron über ihre Köpfe fliegen oder sich von Kaltblüter "Otto" mit weihenden Haaren durch die Manege tragen.

Spaß haben bei diesen etwas anderen Unterrichtsstunden jedoch nicht nur die kleinen Artisten. Auch Doris und Alois Kaselowsky sowie Tochter Daniela sind mit Eifer und sichtlicher Freude bei der Sache. Seit mittlerweile vier Jahren hat die Zirkusfamilie aus Bielefeld die Rollen getauscht und reist von Schulhof zu Schulhof. Ein Schritt, der ganz offenkundig richtig war. "Wir machen 40 solcher Schulprojekte pro Jahr und sind von Januar bis Dezember unterwegs", berichtet Chefin Doris Kaselowsky während sie schon wieder die nächsten Artisten aus den 5. und 6. Klassen einweist. Klar und bestimmt, aber immer so, dass sich die Schüler integriert fühlen in die Zirkusfamilie.

Ferienspiele, erinnert sich die Bielefelderin, habe der Zirkus schon immer angeboten. Und irgendwann sei das Team auf die Idee gekommen, das Angebot auszubauen und den Schülern grundsätzlich den aktiven Part zu geben. Klar, dass das auch den allgemeinen Problemen vieler Artisten geschuldet war: "Auch unserem Zirkus ging es mit dem normalen Programm immer schlechter." Dass die Kaselowskys heute vor allem im mitteldeutschen Osten von Schule zu Schule reisen, ist wiederum einem der berühmten Zufälle im Leben zu verdanken. Eine Lehrerin aus Naumburg habe das Programm in Bonn erlebt - "der Rest war eine Lawine aufgrund der Mund-zu-Mund-Propaganda", lächelt die Zirkuschefin, die insgesamt drei Manegen hat, in denen die gesamte Familie - darunter acht Töchter zwischen fünf und 30 Jahren - arbeitet.

Nach Ermsleben hat Schulleiterin Ingrid Stockmann Zirkus Casselly geholt. Nachdem sie die Truppe im vorigen Jahr zu einem Gastspiel nach Aschersleben eingeladen hatte, wollte sie nun auch ihren Schülern in Ermsleben das Vergnügen nicht vorenthalten. "Es ist ein Lernen der ganz besonderen Art", schmunzelt sie und erinnert an ihr Credo: Schule müsse auch mal für ein Kribbeln im Bauch sorgen.

Dieses Kribbeln haben die jungen Artisten freilich schon. Es ist eine Mischung aus Mut, Vorsicht und dann doch großer Freude, die Alexandra aus der 5a nach der gelungenen Runde - stehend auf dem Rücken von "Otto" - ins Gesicht geschrieben steht als sie sich mitten in der Manege vor ihrem Publikum verbeugt und ihren Applaus genießt. Der fällt für sie und ihre Klassenkameradin Juliana während dieser Probe allerdings noch ein wenig spärlich aus - die Klassenkameraden sorgen für die nötige Motivation in Form von Handgeklapper und auch die Knirpse aus der Kindertagesstätte (Kita) "Gänseblümchen", die während ihrer Tagestour einen Abstecher ins Zelt gemacht haben. Am Freitagabend jedoch wird im Zirkuszelt gleich neben der Schule gewiss tosender Applaus aufbranden. "Bestimmt auch schon viel früher", meint Kita-Betreuerin Katrin Wiedmaier schmunzelnd und schwelgt schon mal in Vorfreude auf die Generalprobe, zu der die Kinder aus der Kita heute Vormittag pilgern.

Die Premieren-Vorstellungen von Zirkus Casselly finden Freitag um 18 Uhr und Sonnabend um 10 Uhr statt. Erwachsene zahlen sechs Euro Eintritt, Kinder vier Euro. Bei den Generalproben Freitag um 8.30 Uhr und 11 Uhr zahlen die Kinder einen Euro Eintritt.