Training für das Herz und die Seele
ASCHERSLEBEN/MZ. - Da werden die alltäglichen Belastungen, die lange Zeit keine waren, wie schnödes Laufen und Treppensteigen, auf einmal zur schier unüberwindbaren Hürde. Die Leistungsfähigkeit ist eben nicht mehr die gleiche wie früher. Ihre Erkrankung weist die Betroffenen in die Schranken. Deutlich spüren sie die Grenzen. Früher mitunter fit wie ein Turnschuh ist es keine Seltenheit, dass die physischen Gebrechen auch psychische Leiden nach sich ziehen.
"Kann ich überhaupt was machen? Verträgt das mein Körper noch?" Nicole Kosig, eine von sechs Übungsleitern, kennt die Bedenken, die Patienten mit Herzerkrankungen, nach Bypass- oder Klappenoperationen hegen. Die Hemmschwelle, sich der Herzsportgruppe anzuschließen, hätten einige überwinden müssen, aber das geschehe in der Regel schnell: "Die Frauen und Männer sehen hier ja, dass sie mit ihrer Krankheit nicht allein dastehen", so die Übungsleiterin. Und das schon seit 1996, denn so lange gibt es die Herzsportgruppe, gegründet unter dem Dach des SV Lok von Oberarzt Dipl. med. Olaf Haberecht, Facharzt für Innere Medizin und Sportmedizin, bereits. Vor allem nach einem Infarkt muss das Herz wieder trainiert werden, um körperliches und seelisches Selbstbewusstsein zu fördern, dem Patienten ein Stück Lebensqualität zurückzugeben. Vier Mal in der Woche stehen Kraftausdauertraining, Wassergymnastik und Bewegungsspiele auf dem Übungsplan. Trainiert wird in drei Gruppen, der Übungs- oder Trainings- beziehungsweise Zielgruppe, je nach Leistungsstand. "Wir betrachten den Körper ganzheitlich, gestalten das Training abwechslungsreich, vernachlässigen nichts", so Kosig. Dabei werde sich nach der Trainingsherzfrequenz eines jeden Patienten gerichtet, um eine körperliche Überlastung zu vermeiden.
Mittlerweile füllt sich die Halle. Die Mitglieder der Herzsportgruppe wissen, was auf sie zukommt. Vor dem Sport steht der medizinische Check-up. Herzfrequenz und Blutdruck müssen überprüft werden, ehe überhaupt begonnen werden kann. "Einen Ausrutscher hat jeder mal. Sind die Werte aber durchweg schlecht, stimmt was nicht", meint Götze.
Überhaupt wird die Sicherheit groß geschrieben. "Wenn kein Arzt da ist, darf sich nicht sportlich betätigt werden", erklärt er, deutet auf Defibrillator und Notfallkoffer, um im Fall der Fälle gleich einsatzbereit zu sein. Die Maxime fürs Training scheint simpel: "Jeder macht nur das, was er kann. Manche laufen fünfmal durch die Halle, andere japsen bei jedem Schritt", wird niemandem zu viel zugemutet. "Aber das Gespräch ist wichtig, nicht, dass ich den Notfallkoffer mit dabei habe", ist er zwar ob der Notwendigkeit dessen überzeugt, versteht sich aber genauso als Ansprechpartner. Die Patienten suchen den Kontakt, vertrauen ihm ihre Ängste an, erhoffen sich Hilfestellung. "Einige sind psychisch fertig, wenn ich sie kennenlerne", sagt der Arzt, den der Werdegang der Betroffenen jedes Mal auf Neue beeindruckt: "Auf Station haben manche gerade so überlebt und jetzt sehe ich sie hier lachen." Ein Gefühl, dass ihm viel gibt.
Ähnlich viel wie die Sportstunden den Mitgliedern. Das Training hat begonnen. Nicole Kosig lässt die Männer und Frauen auf den Matten Runde um Runde gehen. Auf den Zehenspitzen. Dann auf Ferse, Fußaußen- und -innenseite. Erst kleine, später große Schritte, macht sie jede Übung vor, erkundigt sich zwischendurch nach dem Befinden der anderen - "Strengt es an oder geht's?" Keine Einwände.
Jetzt kommen die Arme ins Spiel. Ausstrecken, nach oben und zur Seite greifen. Rudern. "Dabei den Rücken immer schön gerade machen." Um die Gleichgewichtsfähigkeit geht es heute. Gerade im Alter ein wichtiges Thema, findet Kosig, verteilt rote und blaue Pads, Luftkissen, Kreisel und Bälle. Was bei ihr ganz leicht ausschaut, stellt manchen Teilnehmer vor eine Herausforderung: Balance halten auf der nachgiebigen Unterlage, den Gegenüber genau im Auge behalten, ihm den Ball zuspielen und auch wieder fangen. Zuweilen eine ganz wackelige Angelegenheit. Der Koordination und Reaktion kommt es jedenfalls zugute.
Doch das soll's noch nicht gewesen sein, auch wenn es erst mal heißt, hinsetzen. Was manchen freut - "Endlich!" - aber lediglich mit einem Lächeln quittiert wird, denn ernst ist die Aussage gewiss nicht gemeint. Man kennt sich halt zu gut, um nicht auch mal ein kleines Späßchen machen zu dürfen. Weiter geht's also mit dem Bauchtraining. Den Ball zwischen die Oberschenkel geklemmt, die Arme neben dem Körper nach vorne gestreckt und in Richtung Knie aufgerichtet, kräftigen die Herzpatienten ihre Muskulatur. Dann ist die Stunde fast vorbei. Nach den abschließenden Lockerungsübungen folgt der Griff an Hals oder Handgelenk. Wie schon so oft zwischendurch. Um den Puls zu fühlen. Stille. 15 Sekunden verstreichen, bevor die Anzahl der Schläge mit vier multipliziert wird. Aufräumen ist nun angesagt. Danach Umziehen.
Von Beginn an mit dabei ist Bärbel Gürth. "Hier ist kaum einer dabei, der früher Sport gemacht hat", weiß sie. "Und zu Hause würde man manches auch gar nicht machen. Hier ist ein Arzt dabei, da traut man sich mehr zu", fühlt sich die 64-Jährige im Kreise der Herzsportgruppe gefordert. Und nicht nur das: "Das Ganze gibt uns nicht nur gesundheitlich was", sind sie und Johanna Schmidt überzeugt, sprechen von Freundschaften, die aus dem Training heraus entstanden sind und gemeinsamen Unternehmungen wie einer Schifffahrt und Weihnachtsfeiern. "Das tut uns einfach gut. Wenn's nicht so schön wäre, wären wir doch nicht immer noch hier", pflichtet ihr die 77-jährige Schmidt bei.
Die Mitglieder der Herzsportgruppe treffen sich montags von 16 bis 17.30 Uhr in der Sporthalle am ehemaligen Ascaneum, dienstags von 8.30 bis 11.30 Uhr im Ballhaus, mittwochs von 15 bis 17 Uhr im Sport- und Reithotel Stangerode und freitags von 16 bis 17.30 Uhr in den Sportstätten der Fachhochschule Polizei.
Weiterführende Auskünfte erteilt Corinna Hesse. Telefon: 03473 / 97 47 41, Mail: [email protected]. Im Internet ist die Gruppe unter www.lok-aschersleben.de
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