"Ach der kleine Pikser" Selbstversuch beim DRK in Aschersleben: MZ-Redakteur Max Hunger spendet erstmals im Leben Blut

Aschersleben - Jeder weiß es, kaum einer macht es – Blutspenden ist für viele Patienten weltweit lebenswichtig. Über 90 Prozent der deutschen Bevölkerung wissen das, aber nur etwa vier Prozent spenden tatsächlich. Auch ich gehöre zu den Nicht-Spendern. Bis jetzt. Nun mache ich den Selbstversuch, ich gehe Blut spenden.
Es ist ein sonniger Donnerstag-Nachmittag in Aschersleben. An der Anmeldung des Blutspendedienstes des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) im Foyer der Berufsschule hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Das ist beruhigend, schließlich werden allein in Sachsen-Anhalt täglich 400 bis 500 Spender gebraucht.
In Sachsen-Anhalt werden rund 500 Spenden pro Tag gebraucht
Zu Beginn werde ich erstmal gründlich durchgecheckt: Mir wird ein mehrseitiger Fragebogen vorgelegt. Hier wird wirklich alles gefragt. Von Immunkrankheiten bis hin zu meinem letzten Urlaubsziel.
Nach einer kleinen Blutentnahme am Ohrläppchen folgt ein Vier-Augen-Gespräch mit einem Arzt. Trotz der langen Warteschlange vor der Tür ist dieser - wie alle Mitarbeiter - überaus freundlich. „Wir sind sehr an Ihnen interessiert“, sagt der Arzt und schickt mich zur nächsten Station.
„Wir sind sehr an Ihnen interessiert“, sagt der Arzt
Hier nehme ich auf einer Liege Platz und darf mir den Arm aussuchen, der angezapft werden soll. Als Rechtshänder entscheide ich mich für den Linken. Noch während mich die Helferin gekonnt beiläufig in ein Gespräch verwickelt, habe ich eine Nadel im Arm. Zugegeben, ganz schmerzfrei ist der Stich nicht. Die Nadel hat einen beachtlichen Durchmesser.
„Da muss ja auch ein halber Liter Blut durch“, erklärt die Helferin. Einmal den Zeh am Türrahmen anstoßen, ist im Vergleich allerdings deutlich schlimmer, denke ich mir, beiße die Zähne zusammen und knete gleichmäßig einen weichen Ball, um den Blutfluss anzuregen.
Ich schaue meinem Blut zu, wie es in den Beutel fließt
Nun schaue ich meinem eigenen Blut zu, wie es in Ketchup-Geschwindigkeit in einen automatisch hin und her schaukelnden Beutel fließt. „Damit es nicht klumpt oder gerinnt“, werde ich aufgeklärt. „530 Gramm“ zeigt das Display des Blut-Schaukel-Automaten nach etwa zehn Minuten.
Er piepst und sofort eilt eine Helferin herbei, um mich von der Nadel in meinem Arm zu befreien. Ein halber Liter Blut wird jedem Spender entnommen. Gar nicht so wenig, angesichts der durchschnittlich fünf bis sechs Liter Blutvolumen eines Erwachsenen. Während ich noch darüber nachdenke, aufzustehen, sackt mein Kreislauf kurz etwas ab. „Bleiben Sie ruhig noch ein paar Minuten liegen“, sagt die Helferin schmunzelnd.
„Bleiben Sie noch ein paar Minuten liegen“
Gespendetes Blut wird im Nachhinein in drei Bestandteile aufgeteilt: die roten Blutkörperchen (Erythrozyten), die Blutplättchen (Thrombozyten) und das Blutplasma.
Auf diese Weise kommt eine einzige Blutspende bis zu drei Patienten zugute. „Viele denken, das Blut werde vor allem bei Unfalloperationen gebraucht, tatsächlich wird das meiste aber in der Krebstherapie benötigt“, erklärt Anett Sinast, Gebietsreferentin des DRK. Bis zu 14 Blutkonserven brauche ein Patient dort pro Woche.
Krebspatienten brauchen bis zu 14 Konserven pro Woche
Der große Bedarf sei für die Blutspendedienste zunehmend schwieriger zu decken, erzählt Sinast. Das Problem: Ab einem Alter von 72 Jahren darf kein Blut mehr gespendet werden. „Mittlerweile scheiden dadurch viele als Spender aus.
Der Altersdurchschnitt liegt bei über 50 und die Jugend rückt nicht im gleichen Maße nach“, erläutert sie. Die Altersgruppe der 18- bis 40-Jährigen spendet durchschnittlich am wenigsten Blut.
Auch bestehe eine große Kluft zwischen Bedarf und Spendenbereitschaft. Während nur drei bis vier Prozent der Menschen in Deutschland spenden, sind 80 Prozent im Verlauf ihres Lebens auf Blutkonserven angewiesen.
DRK-Referentin fordert Werbung für Blutspenden an Schulen
„Es muss mehr in den Schulen geworben werden, etwa im Biologieunterricht“, schlägt Sinast vor. Hier sei das Problem, dass Spender mindestens 18 Jahre alt sein müssen. Es kommen also nur Gymnasien und Berufsschulen in Frage. Dort hat sie aber bereits gute Erfahrungen gemacht: „Wenn einmal das Bewusstsein dafür geschaffen wurde, spenden die Schüler meist auch.“
Mittlerweile habe ich mich getraut, aufzustehen und sitze an einem liebevoll gedeckten Tisch. Ich fühle mich hervorragend. Der Imbiss ist die letzte und natürlich schönste Station der Blutspende. Für alle Spender gibt es hier Essen, Trinken und die Möglichkeit, sich etwas auszuruhen.
Ältere Damen in weißen Kitteln wuseln eifrig umher, verteilen Kaffee und Süßes. Anders als das medizinische Personal arbeiten sie alle ehrenamtlich. Während ich genüsslich in mein Käsebrot beiße, komme ich mit den anderen Spendern ins Gespräch. Die Stimmung ist locker.
„Ich fühle mich danach immer besser, als könnte ich Bäume ausreißen“, erzählt mir eine Spenderin. Bei meiner mimosenhaften Beschwerde über die dicke Nadel kann sie nur lachen: „Ach, der kleine Pikser“, winkt sie ab. Sie war heute zum 56. Mal bei der Blutspende. Keine Seltenheit, wie ich schnell merke. Ich bin der einzige Erstspender am Tisch. Der Mangel an jungen Spendern ist sichtbar. Dabei hat ein Besuch hier einige Vorteile: Später bekomme ich einen Notfallpass zugeschickt, auf dem meine Blutgruppe eingetragen ist, sowie eine umfangreiche, ärztliche Untersuchung meines Blutes.
Während ich in Gedanken schwelge, fällt mein Blick auf das Käsebrot auf meinem Teller. Die Radieschenscheibe auf dem Belag ist behutsam in die Form eines Herzens geschnitten. Ich bin tatsächlich gerührt. Vielleicht liegt das gute Gefühl im Nachhinein doch nicht an der angekurbelten Blutproduktion, sondern einfach nur in der Gewissheit, heute vielleicht ein Leben gerettet zu haben. (mz)