Schmaler Stollen unter Breiter Straße
Aschersleben/MZ. - 50 Meter weiter, vor der Tür des Hauses II der Landkreisverwaltung, wurde jetzt erneut tiefer gebuddelt als sonst und ein Stück des aus Bruchsteinen einst sehr sauber gemauerten Kanals freigelegt.
Doch welche Funktion hatte der Kanal einst? Karin Herdam von der Abteilung Hoch- und Tiefbau der Stadt Aschersleben erklärt: "Es handelt sich um einen Flusswasserstollen mit zwei Hauptsträngen. Wann er erbaut wurde, ist uns nicht bekannt. Wir haben lediglich eine Zeichnung von einem gewissen Salomon aus dem Jahr 1901, auf der der Stollen dargestellt ist."
Frau Herdam zeichnet die Führung des Stollens nach, in dem das Wasser durch die Stadt floss: Vom Staubecken im Vogelgesang führte ein Strang Hinter dem Zoll entlang zur Geschwister-Scholl-Straße, Douglasstraße, Langen Reihe, Hohen Straße zur Taubenstraße. Ein anderer Strang ging vom Vogelgesang aus zu den Straßen Vor dem Steintor, Über den Steinen bis in die Breite Straße.
Weitere Auskünfte zu dem etwa 1,20 Meter hohen und maximal 70 Zentimeter breiten Stollen gibt Nico Thiel. Der Abwassermeister beim Eigenbetrieb Abwasserentsorgung der Stadt Aschersleben kann zwar ebenfalls keine genauen Angaben zum Alter des Stollens machen, dafür aber einen Hinweis geben: "Durch Stollen und Rohrleitungen wurde Flusswasser zu den großen Firmen der Stadt geleitet. Es diente als Brauchwasser zur Kühlung und für andere Zwecke. Zu den Firmen gehörten die Zuckerfabrik - dort steht heute das E-Center - und die Wolldeckenfabrik, die Optima und nicht zuletzt die Deutsche Reichsbahn."
Allein diese Tatsache lässt vermuten, wann der Stollen gebaut worden ist: Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung in Aschersleben enorme Fortschritte nahm und das Wasser der Brunnen nicht mehr ausreichte beziehungsweise zu teuer wurde.
Unbekannt ist auch, wie lange der Flusswasserstollen genutzt worden ist. Thiel vermutet, bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg; das Auffangbecken, in dem das Wasser der Eine gestaut worden war, wurde seiner Erinnerung nach Ende der 60er Jahre zurückgebaut. Der Flusswasserstollen selbst wird nicht zurückgebaut. Und selbst die Arbeiter der Helbraer Firma gehen nur äußerst behutsam mit dem unterirdischen Erbe der Stadt Aschersleben um, wie ein Mitarbeiter versicherte.