Rauschgiftproblem im Nordharz Rauschgiftproblem im Nordharz: Drogenkonsum auf Westniveau
Quedlinburg/MZ. - Nach Ansicht des Wernigeröder Arztes Dr. Matthias Bosse sind allein etwa 150 bis 200 Menschen in den Landkreisen Quedlinburg, Halberstadt und Wernigerode von Heroin abhängig. Bosse, der bislang einzige Mediziner in der Region, der gezielt Drogenabhängige betreut, hat dabei einen Wandel festgestellt: Während Heroinabhängigkeit anfangs vor allem ein Problem war, das infolge zugereister, älterer Konsumenten existierte, hat sich die Situation in den vergangenen zwei Jahren gewandelt: "Es sind einheimische Jugendliche, die auch ohne größere Drogenkarriere zum Heroin greifen", so Bosse.
Dabei spiele die soziale Situation kaum eine Rolle - selbst Bankkaufleute schnupfen oder spritzen das weiße Pulver. Der Allgemeinmediziner, der etwa 40 Heroinsüchtige und ca. 50 von anderen illegalen Drogen Abhängige in seiner Praxis betreut, hat dabei feststellen müssen, dass "eine riesengroße Naivität" gegenüber Drogen besteht. Es gebe keine oder nur geringe Kenntnisse zu Wirkmechanismen, entsprechend groß sei der Aufklärungsbedarf. Dieses Urteil stützt auch der Quedlinburger Jugendrichter Andreas Nowinski, der sowohl bei Prävention als auch Therapie sehr großen Nachholbedarf im Landkreis Quedlinburg sieht (siehe Interview Seite 15). "Erschreckend" nennt der Chef des Quedlinburger Gesundheitsamtes, Dr. Hans-Georg Hübner, den Umstand, dass illegale Drogen quasi noch im Kindesalter konsumiert werden: Der erste Joint kreist bereits bei Elfjährigen.
Die jüngste Patientin, die wegen ihrer psychischen Cannabisabhängigkeit bei der Quedlinburger Drogenberaterin Veronika Fischer vorsprach, war zwölf und konnte aufgrund ihrer Sucht nicht mehr zur Schule gehen.
Von 1996 bis zum vergangenen Jahr hat sich derweil die Zahl der Beratungsbedürftigen im Gesundheitsamt vervierfacht. Hübner geht davon aus, dass die Zahl der Abhängigen noch erheblich steigen wird. "Neugier und Gruppenzwang" sind nach Ansicht von Fischer schuld an den immer früher beginnenden Drogenkarrieren. Für Bosse ist es auch das Freizeitverhalten der Jugendlichen - wer zur Disco geht, hat spätestens da Kontakt zu illegalen Drogen, allen voran Ecstasy. Mit 16 Jahren hat jeder dritte bis vierte Jugendliche mindestens einmal illegale Rauschmittel konsumiert. Für den Chef des Drogenkommissariates, Holger Eheleben, ist Techno gleichbedeutend mit Drogen: "Wer das negiert, der lügt." Folglich sind die entsprechenden Veranstaltungen Hauptumschlagsplatz für illegale Rauschmittel aller Couleur. "Zu kriegen ist alles", weiß Eheleben.
Als im Februar 2001 in Quedlinburg der erste offizielle Drogentote registriert wird, ergibt die Analyse von Blut und Urin einen Rauschgiftcocktail, "der so ziemlich alles außer Chilipulver enthielt", meinte ein Ermittler. Einhergehend mit der Sucht ist in der Regel der Konflikt mit dem Gesetz: Heroinabhängige beispielsweise benötigen bis zu 120 Euro pro Tag, um über die Runden zu kommen. Die Sucht ist quasi zwangsläufig nicht legal zu finanzieren.
Amtsrichter Nowinski ist der Ansicht, dass ein Drittel aller Eigentumsdelikte (Diebstahl, Raub) tatsächlich Beschaffungskriminalität sind - im Bereich der Polizeidirektion Halberstadt wären das im vergangenen Jahr mehr als 6 000 Fälle gewesen. Seit langem fordern daher Kriminalisten, in den polizeilichen Ermittlungsakten entsprechende Vermerke machen zu können. Seite 15