Nicolaistift Ballenstedt Nicolaistift Ballenstedt: Ein Haus ohne vier Ecken
Ballenstedt/MZ. - "Einen alten Baum verpflanzt man nicht", zitiert Arne Tesdorff, Referent für Öffentlichkeitsarbeit der "Kanzler von Pfau'sche Stiftung" Bernburg. Die alte Lebensweisheit kommt ihm in den Sinn, wenn er über den Einzug der Bewohner in das von der Stiftung gebaute Nicolaistift spricht. Dreißig der heute sechzig Bewohner haben zum Teil seit vielen Jahren im Vorgängerbau "Haus Bethanien" gelebt. Für sie war der Umzug in das "Nicolaistift" ein weitreichender Schritt.
Das 1928 errichtete "Haus Bethanien" liegt am Ortsrand der kleinen Harzstadt, in der Nähe von Gelbem Haus und Schlosspark. Über die Jahre ist es in seine Struktur als Feierabendheim hineingewachsen.
Ob Bewohner, Mitarbeiter oder Angehörige - alle, sagt Pflegedienstleiterin Karin Perbandt, haben sich in der familiären Atmosphäre wohl gefühlt. Wenn ihre Arbeitsbedingungen durch die baulichen Einschränkungen auch nicht einfach waren, der Auszug aus "ihrem" Haus fiel nicht leicht. Der Ersatzneubau Nicolaistift liegt im Herzen der Ballenstedter Innenstadt, gleich neben der Nicolaikirche. Beton, Stahl und Glas dominieren bei der Architektur des modernen Baus. Dazu kommt ein ungewöhnlicher Grundriss, den Karin Perbandt treffend charakterisiert: "Unser Haus hat keine vier Ecken."
Die Zimmer der Bewohner gruppieren sich um zwei dreieckig angelegte Innenhöfe. Die Gebäudeseiten zu den Höfen sind ganz verglast, so dass Bewohner und Mitarbeiter nicht nur diese, sondern auch die sie umgebenden Flure der Wohnbereiche einsehen können. Für Bewohner, die die Einrichtung nicht mehr verlassen können, bietet sich so die Möglichkeit, trotzdem am Leben Anteil zu nehmen.
Einer, der im "Haus Bethanien" zu Hause war und im Nicolaistift zu Hause ist, ist Herbert Koch. Vor sechs Jahren ist er gemeinsam mit seiner Frau ins "Haus Bethanien" gezogen. Dort haben sie sich sehr wohl gefühlt, erzählt der rüstige Senior, dem man die 90 Jahre nicht ansieht. "Ein bisschen", sagt Koch, "vermisse ich aber den Schlosspark." Ein Türschild mit seinem Namen und eine Klingel - wer die betätigt, den bittet Herbert Koch in sein kleines Reich. Zu seiner Einraumwohnung gehört neben dem Wohnraum, ein Badezimmer und der Flur. Bis auf das Pflegebett bringt jeder Bewohner seine eigenen Möbel mit und kann sich ganz individuell einrichten, erzählt Tesdorff.
Sich zu Hause fühlen, umgeben von den eigenen Sachen, sollen sich die Bewohner. Koch hat seine vier Wände mit vielen Fotos und Erinnerungsstücken versehen. Von seinem großen Terrassenfenster hat er einen der schönsten Ausblicke - direkt auf die gegenüber liegende Nicolaikirche.
Außerdem ist er der Vorsitzende des Heimbeirates, der aus drei Bewohnern des Stiftes besteht. Das Gremium wird in alle Entscheidungen einbezogen, die den Tagesablauf im Stift bestimmen. Darüber hinaus kann jeder Bewohner seine Sorgen und Nöte zu Papier bringen und in den Kummerkasten einwerfen - ein knallroter Briefkasten mit bunten Lettern. "Das haben wir mit Absicht so gemacht", sagt Arne Tesdorff, "damit der gar nicht erst wie ein Kummerkasten aussieht." Genutzt, ergänzt Karin Perbandt, wird er jedoch selten, denn an erster Stelle stehe das persönliche Gespräch. Ungewöhnlich am Nicolaistift ist auch, dass Pflegeheim und Evangelisches Gemeindezentrum unter einem Dach sind.
Die Nicolaigemeinde, die Schlossgemeinde und die Opperöder Sankt-Petri-Gemeinde haben hier ihr Gemeindezentrum. Das Nicolaistift in Trägerschaft der "Kanzler von Pfau''sche Stiftung" ist eine kirchliche Einrichtung, und so ergeben sich vielfältige Ansatzpunkte für eine Zusammenarbeit. Ulrich Pels, der Gemeindekirchenratsvorsitzende, kann deshalb auch eine positive Bilanz der "trauten Zweisamkeit" ziehen.
Es gibt gemeinsame Veranstaltungen und auch Feste, die man zusammen feiert. In den Wintermonaten nutzen die Mitglieder der Nicolaigemeinde den großen Saal des Nicolaistiftes für ihren Gottesdienst. Und auch die Heimbewohner können, soweit das möglich ist, an der Gemeindearbeit Anteil nehmen und sich einbringen.