Hebamme Katrin Herrmann aus Aschersleben MZ-Serie aus Aschersleben: Storch im Anflug

Aschersleben - Katrin Herrmann hat es eilig. Gerade noch hat sie mit Chefarzt Behnam Taheri die Akten durchgeschaut und anstehende Operationen abgesprochen und schon verschwindet sie hinter der Tür, die zu einem der drei Kreißsäle führt.
Denn die Leitende Hebamme sorgt im Ascherslebener Ameos-Klinikum gemeinsam mit zehn weiteren Hebammen, Schwestern und Kinderschwestern im Schichtdienst dafür, dass angehende Mütter ihren Nachwuchs gesund und munter auf die Welt bringen können. Egal wann.
Kreißsaal sieht gemütlich aus
Der Kreißsaal, den die Hebamme gerade betritt, ist bunt. Die Wände zartgelb, die Vorhänge in ein warmes Weinrot getaucht. Das sieht gemütlich aus. Und beruhigend. Soll es auch. Denn eine Geburt soll nichts Klinisches, sondern ein Erlebnis sein, findet die Hebamme.
Sie versucht deshalb den aufgeregten Schwangeren die Angst davor zu nehmen, sitzt an ihrer Seite, um die Wehen zu veratmen, begleitet sie bei der Geburt, die ein natürlicher Vorgang ist.
„Die individuelle Geburtsbegleitung ist die Kunst der Hebamme - da gibt es keinen festen Fahrplan“, weiß die Ascherslebenerin aus Erfahrung. Dabei ist alles erlaubt. Alles, bei dem sich die Gebärende wohlfühlt.
Herumlaufen, ein Entspannungsbad nehmen oder einfach im Bett liegen. Akupunktur oder Homöopathie. Gebärhocker oder Gebärlandschaft. „Wir schauen, was die Frauen möchten“, sagt die Hebamme. „Nur einen Kopfstand machen wir nicht“, sagt Behnam Taheri lachend. „Nein, das wäre kontraproduktiv“, stimmt Katrin Herrmann in das Lachen ein.
Haltungen, die die Geburt fördern
Es sollten schon Haltungen sein, die der Geburt förderlich sind. Möglich ist zudem die Gabe von Medikamenten. Und gibt es Probleme, kommt der Arzt dazu.
Doch Michelle Graulich ist noch nicht so weit. Die junge Frau liegt auf dem kreisrunden Bett in der Mitte des Kreißsaales und schiebt ihr dunkelblaues T-Shirt nach oben.
„Gestern bin ich mit Wehen ins Krankenhaus gekommen, heute ist alles weg“, sagt die Staßfurterin, die erst in der 37. Woche ist und eigentlich noch ein bisschen Zeit hat. Doch bevor die Patientin wieder nach Hause entlassen werden kann, will Katrin Herrmann noch den Bauch abtasten.
„Hier ist der Pops“, deutet sie auf eine Beule im oberen Bereich. „Und hier das Köpfchen.“ Das zeigt schon in Richtung Geburtskanal.
Zweiter Junge ist im Anmarsch
Michelle Graulich kann es kaum erwarten. „Schwer genug ist er ja“, streichelt sie über den noch ungeborenen Nachwuchs. Die 25-Jährige bekommt ihr zweites Kind - wieder einen kleinen Jungen.
Ihr Mann Sebastian steht ihr dabei zur Seite. Bei der Geburt möchte der 31-Jährige gern dabei sein. „Wenn ich es zeitlich hinbekomme. Ich muss doch beruflich nach Frankfurt“, schränkt er ein. Doch sein Chef zeigt Verständnis. „Er hat gesagt, wenn es soweit ist, soll ich alles fallen lassen und sofort losfahren“, freut sich der junge Mann. Doch jetzt bringt er seine Frau erst einmal zurück nach Staßfurt.
Fachfrauen mit Gesamtpaket
Katrin Herrmann nickt noch einmal mit einem freundlichen Lächeln und geht dann weiter zur Wochenstation. „Denn Hebammen sind Fachfrauen für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbettbetreuung“, nennt die 49-Jährige das „Gesamtpaket“, das außerhalb der Klinik auch noch aus Geburtsvorbereitung und häuslicher Nachsorge besteht.
„Manchmal begleiten wir die Familien ein ganzes Jahr.“ Für die zierliche Frau mit den blonden Haaren ein Traumberuf. Bei einer Geburt dabei zu sein, das sei faszinierend, gesteht sie nämlich.
Hebamme ist oft den Tränen nahe
Oft genug stehen ihr selbst die Tränen in den Augen, wenn die Mutter das kleine Bündel Mensch dann in den Armen hält. Auch nach all den Jahren berührt sie das. Und so hat die Ascherslebenerin, die ursprünglich Zahnärztin werden wollte, sich - da es dort aber keine freie Stelle gab - für die Ausbildung zur Hebamme entschieden, diesen Entschluss noch keinen Tag bereut.
„Hebamme zu sein ist ja ein Mädchentraum“, weiß die 49-Jährige, die seit 1989 in diesem Beruf arbeitet.
„Das könnten 2.000 Geburten gewesen sein“, überschlägt der Chefarzt rasch im Kopf. Er selbst ist erst seit Dezember in Aschersleben. Auch ihn reizte der Bereich Gynäkologie und Geburtenhilfe, weil er alle Altersklassen umschließe - von ganz jungen bis hin zu älteren Patienten.
Und weil es eine Kombination aus operativer Arbeit und Geburtenhilfe sei. Katrin Herrmann selbst hat nicht mitgezählt. Aber ihre Kollegin, die ein bisschen älter ist. Die habe 1 800 Geburten betreut. Bei ihr könnten es deshalb so um die 1.600 sein.
Auf alle Fälle betreue sie jetzt schon die zweite Generation. Das bedeutet, die angehenden Mütter von heute hat sie manchmal vor vielen Jahren selbst mit auf die Welt gebracht.
Tipps für junge Mütter sind wichtig
Katrin Herrmann schmunzelt bei dem Gedanken und öffnet die hellblaue Tür zum Zimmer 7. Der kleine Henri ist gerade zwei Tage alt. Das blaugestreifte Mützchen rutscht dem Jungen ins Gesicht und er fängt an zu grummeln. „Er hat Hunger“, weiß die frischgebackene Mama Ute Junghanns.
Die Hebamme reicht ihr den kleinen Mann zum Stillen an, gibt ihr Tipps, wie sie das Kind am besten halten soll. Und tatsächlich. Dieses Mal klappt es. Nach gutem Zureden und ein bisschen Unterstützung von Mama und Hebamme hat Henri den Dreh raus und bekommt seine erste Milch. „Sein Papa wird stolz sein, dass es endlich geklappt hat“, lächelt die Mama.
Entbindungsort war von vornherein klar
Dass sie in Aschersleben entbindet, war ihr von vornherein klar. „Meine Mutter hat hier entbunden, meine Schwester.“ „Wichtig sind die frühen Hungerzeichen, wenn er zum Beispiel die Stirn krauszieht“, erklärt die Hebamme inzwischen und führt das Köpfchen des Kleinen. Der wird nun gut versorgt sein.
Denn: „Wenn er das einmal so gemacht hat, weiß er das nächste Mal, wie es geht.“ Doch das Saugen und Schlucken macht den kleinen Mann müde. Und vor Erschöpfung schläft er ein. „Ach, ich freu mich“, schaut Ute Junghanns auf ihr Kind. Und Katrin Herrmann lässt die beiden alleine.
600 Jungen und Mädchen erblickten das Licht der Welt
Sie geht die farbig gestalteten Flure entlang, an dessen Wänden süße Babybilder hängen. 600 Jungen und Mädchen erblicken hier in der Klinik pro Jahr das Licht der Welt. Heute sind es drei Frauen, die in den Wehen liegen. Zwei sind noch mobil und wandern in der Gängen herum, eine liegt im Kreißsaal.
Seit 6 Uhr ist die Hebamme schon im Dienst. Sollte die Geburt aber zum Dienstwechsel unmittelbar bevorstehen, bleibt sie länger als ihre acht Stunden. Damit die Gebärende in dieser anstrengenden Zeit nicht noch einen Wechsel der Bezugsperson verkraften muss.
„Da hat sich ja ein Vertrauensverhältnis aufgebaut - alles andere würde die Geburt nur stören“, begründet sie das.
Das sei der Vorteil dieser verhältnismäßig kleinen Station, das Familiäre, bestätigt auch der Chefarzt. Doch heute macht die Hebamme pünktlich Feierabend.
Am Nachmittag verlässt sie ihren Arbeitsplatz durch die Glastür mit dem Storch auf der Scheibe, der ein hellblaues Bündel im Schnabel trägt. Die Entbindungsstation, die für die Hebamme Ort für so viele schöne Erlebnisse ist.
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Die Mitteldeutsche Zeitung begleitet Menschen in ihrem Arbeitsalltag und stellt in unregelmäßigen Abständen ihre Berufe in einer Serie vor. Dabei schauen wir ihnen genau über die Schulter, lassen uns spannende Geschichten aus ihrem Berufsleben erzählen und packen auch mal mit an. (mz)

