Mehringen Mehringen: Zurück zur Gemeinschaft

Mehringen - Mitten durch das von Wiesen und Feldern umgebene Mehringen fließt die Wipper, entlang am großen Vierseitenhof von Torsten Graßhoff. Der 46-Jährige gehört zu den Bewohnern, die sich aus Überzeugung für ein Leben in dem 1 100-Seelen-Dorf entschieden haben. Mit Eltern, Ehefrau und den beiden Töchtern lebt er auf einem der für den Ort typischen Bauernhöfe.
Für längere Zeit wegzugehen, kam dem Verkäufer von Düngemitteln und nebenberuflichen Landwirt nie in den Sinn, denn die Geschichte seiner Familie ist eng mit der Mehringens verwoben. Vor über 200 Jahren haben sich die Vorfahren Graßhoffs an der Wipper niedergelassen und das eigene Land bewirtschaftet. "Mit der industriellen Revolution sind die Bauern in der Region zu Reichtum gekommen", erzählt Torsten Graßhoff, denn die landwirtschaftlichen Bedingungen standen aufgrund der Lage seit jeher gut.
Zahlreiche Familien im Ort waren über Generationen in der Landwirtschaft beschäftigt. „Hier galt der Spruch: 'Wer was auf sich hält, geht Pfingsten auf das Rübenfeld.'", so der 46-Jährige. Noch heute leben mit ihm sechs aktive Landwirte in Mehringen. Und die sind nach Meinung von Torsten Graßhoff unabdinglich, um den Ort am Leben zu halten: „Wenn die Höfe sterben, sterben auch die Dörfer." Das bezieht sich einerseits auf die geschaffenen Arbeitsplätze, viel mehr aber auf das Miteinander im Dorf.
Im sechsten Jahrhundert wurde das Dorf - vermutlich unter dem Namen "Maroinga" - laut Ortschronik gegründet. Erstmals nachweislich erwähnt wurde "Merynge"1086 in einer Schenkungsurkunde des Bischofs von Halberstadt an das Kloster Ilsenburg. Von großer Bedeutung war die Gründung des Klosters Mehringen im Jahr 1222. Rund 300 Jahre später wurde dieses durch aufständische Bauern zerstört. Im Zuge des Dreißigjährigen Krieges litt Mehringen unter weiteren Verwüstungen, bis der Ort 1637 fast vollständig zerstört und nur noch zeitweise bewohnt war. 1681 wütete zudem die Pest.
Von 1696 bis 1699 wurde im Ort, der aus 131 Häusern bestand, ein Pfarrhaus gebaut. Während des Siebenjährigen Krieges mussten die Bewohner Geld und Getreide abgeben und litten unter Hungersnot. 1806 mussten die Mehringer Nahrungsmittel an die Preußen, später an die Franzosen liefern.1809 wurde der Ort von französischen Truppen gebrandschatzt, vier Jahre später quartierte sich eine französische Armee in der Gegend ein. Um 1842 wird die Not der Bewohner aufgrund von Missernten verstärkt.
Das habe sich im Laufe der Zeit gewandelt. „Das Dorfleben wird schwieriger, die Leute gehen nicht mehr raus, machen die Tür zu", erzählt Torsten Graßhoff. Der „Schnack" über den Zaun werde weniger. Es seien unter anderem die Bauern, die versuchen, dem entgegenzuwirken und die Nachbarschaft unter anderem durch Feste, von denen es allmählich wieder mehr gibt, näher zusammenzubringen.
Denn Anlaufpunkte wie Kneipen, Gaststätten oder Bäcker, bei denen man sich trifft und miteinander ins Gespräch kommen könnte, gibt es in Mehringen nicht mehr. Hinzu kommt, dass ältere Bewohner, die das Dorfleben aktiv mitgestaltet haben, immer weniger werden. Jüngere hingegen haben daran nur wenig Interesse: „Die Jugend", so Torsten Graßhoff, „ist heute viel mobiler und nicht mehr auf das Dorf angewiesen."
Das macht sich auch im Dorfbild bemerkbar. Für den Geschmack von Monika Hippe, die seit sechs Jahren die Heimatstube der Gemeinde betreibt, geht es viel zu ruhig zu. Die 66-Jährige hat bis zum Ruhestand in der Schule des Ortes unterrichtet. Fast alle jüngeren Mehringer saßen als Kinder auf ihrer Schulbank. Und genau die vermisst Monika Hippe heutzutage im Dorf. „Es gab viel mehr Kinder, die draußen gespielt haben. Die sieht man heute nicht mehr", sagt sie. Umso wichtiger sei es, dass der Ort an seinen Festen festhält, damit man sich regelmäßig treffe. Diese nehmen in der Geschichte Mehringens eine große Bedeutung ein, wie Hippe nicht nur aus Erfahrung, sondern auch aus Aufzeichnungen weiß.
Seit 1824 wird im Dorf nachweislich das Heimatfest gefeiert. Lediglich nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es ein einziges Mal ausgesetzt. Bis heute ist die Veranstaltung für alteingesessene - und zunehmend auch für zugezogene Bewohner - eine feste Größe, was auch an den Traditionen liegen könnte, die die Feier ausmachen. Jahr für Jahr wird beim Mehringer Heimatfest das Holzadlerschießen zelebriert, bei dem der beste Schütze des Dorfes gesucht wird und zur Belohnung einen hölzernen Vogel erhält.
„Ich hätte so gerne einen auf dem Hof", sagt Monika Hippe. „Aber mein Mann hat's noch nie geschafft." Anders sieht es da bei Torsten Graßhoff aus, auf dessen Hof gleich vier Exemplare hängen - zwei hat er geschossen, zwei seine Töchter, die die Traditionen des Vaters zumindest in diesem Punkt fortführen. Ob eine von beiden im Ort bleiben und später den Hof der Familie übernehmen wird, ist ungewiss. (mz)