Leute von nebenan Leute von nebenan: Klettern und Kurbeln für die korrekte Zeit
Bad Suderode/MZ. - Die Treppe führt nur bis zur Glockenstube der 125 Jahre alten "Neuen Kirche". Danach wird es eng. An den drei Glocken vorbei führt die erste von mehreren Holzleitern bis zur Uhrenstube der Kirche. Karl-Ludwig Oppold weiß genau, an welchem Balken, an welcher Stelle des Schwungrades der Glocken und an welchem Wandhaken, er sich festhalten kann, um sicher emporzusteigen.
In einer kleinen Kammer versteckt, ist das Uhrwerk der Kirchenuhr aufgebaut. Für eine Kirchturmuhr ist es relativ klein. Der Viertelstundenschlag und der Stundenschlag sind irgendwann einmal ausgefallen, doch die Zeit zeigt die im Vergleich zu einer alten Taschenuhr einfache Mechanik immer noch genau an. "Nur manchmal bleibt sie aus Protest stehen."
1961 war der gebürtige Schwabe nach der Uhrmacherlehre in Bleicherode und dem Optikstudium in Jena nach Bad Suderode gekommen. Am Markt übernahm er das Uhrengeschäft von Max Bauer, der den Laden seit 1938 führte. Und zum Job des Uhrmachers gehörte seit eh und je auch das Aufziehen und Warten der Kirchturmuhr. Bezahlt wurde das damals nicht. Es gab anfangs nur "NAW-Marken", die ähnlich den Konsummarken gesammelt werden konnten, die für den Uhrmacher jedoch keinerlei Wert hatten. Später bekam er die Arbeit auch bezahlt, doch seit der Wende verzichtet das Kirchengemeindemitglied auf Bargeld.
Pfarrerin Wanda Krüger war die Arbeit bei den Jubiläumsfeierlichkeiten ein dickes Dankeschön wert. Im Sommer muss die Uhr bei jedem Aufziehen für ein bis zwei Minuten angehalten werden. "Dafür geht sie im Winter auf drei bis vier Tage eine Minute nach", schildert Karl-Ludwig Oppold, der das Uhrwerk dann einen Zahn vorstellen muss. Wie lange der Uhrmacher den Kirchturm noch erklimmt, ist ungewiss. Zwei bis drei Jahre sollten es noch werden, meint der Rentner und dreht mit der 15 Zentimeter langen Kurbel das drei Kilogramm schwere Uhrengewicht aus zwanzig Meter Tiefe wieder hoch. Eigentlich müsste die Mechanik jetzt schnarren, doch die Gegenfeder ist nicht mehr ganz intakt. Die Arbeit ist nicht schwierig, nur das Turnen auf der Leiter ist mühsam.
Das Uhren- und Optik-Geschäft am Markt hat Karl-Ludwig Oppold vor eineinhalb Jahren seiner Tochter, der Optikerin Annette Möder übergeben. Den Job auf dem Kirchturm möchte Oppold ihr jedoch nicht übertragen. Früher hatte der Uhrmacher noch Angestellte, die während seines Urlaubs für korrekte Zeit in Bad Suderode sorgten, doch den Uhrmachern geht es schlecht, schätzt Oppold ein.
Wenn er im Urlaub ist, hilft der Mann der Pastorin, erklärt er und steigt den staubigen Turm wieder hinunter. Oppold will pünktlich nach zwanzig Minuten zurück sein. Eine Suchaktion, weil ihm der Besuch beim Steuerberater einfiel, hat er schließlich schon hinter sich.