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Legendäre "Mauerhilde" Legendäre "Mauerhilde": Hildegard Ramdohr schrieb in Aschersleben Geschichte

Von Kerstin Beier 14.01.2019, 11:00
Hildegard Ramdohr vor dem Rondell. Das Gebäude war das erste, das mit Hilfe des Förderkreises restauriert werden konnte.  
Hildegard Ramdohr vor dem Rondell. Das Gebäude war das erste, das mit Hilfe des Förderkreises restauriert werden konnte.   Frank Gehrmann

Aschersleben - Wenn Hildegard Ramdohr in Aschersleben spazieren geht, führt sie ihr Weg meistens entlang der „Promenade“. Der grüne Gürtel - der zugeschüttete Stadtgraben - fasst die historische Innenstadt ein und gibt an vielen Stellen den Blick frei auf die gut erhaltene Befestigungsanlage aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Ursprünglich umfasste die imposante Anlage 51 Wehrtürme und 8 Tore, heute sind noch 15 Türme erhalten, darunter der sehr markante, 42 Meter hohe Johannistorturm

Zu den Lieblingsorten der inzwischen 93 Jahre alten Hildegard Ramdohr gehört aber auch das Rondell am Külzplatz - und das aus gutem Grund. In dem dicken Festungsturm mit seinem Obergeschoss in Fachwerkbauweise befand sich nach der Sanierung in den 90er Jahren lange Zeit ihr Büro. Von hier aus kümmerte sie sich um den Erhalt der 2,2 Kilometer langen Anlage mit Stadtmauer und alten Türmen.

Ein Engagement, das ihr schnell den Spitznamen „Mauerhilde“ einbrachte. Denn unbestritten ist, dass die historischen Befestigungsanlagen der ältesten Stadt Sachsen-Anhalts ohne das Engagement und die Beharrlichkeit dieser stillen Heldin des Alltags heute nicht in dem guten Zustand wären. So aber gehört Aschersleben zu den wenigen Städten im Land, denen es nicht nur gelungen ist, ihre Befestigungsanlage in einem guten Zustand zu erhalten, sondern auch Teile wiederherzustellen.

Die alte Dame, so heißt es in der Stadt, komme stets durch die Hintertür wieder herein, wenn sie vorn hinausgeworfen wird. Schon 1985, in der DDR, als kein Mensch die alten Mauern auf dem Zettel hatte, marschierte sie ins Büro der Stadtoberen. Sie wollte dem Verfall der Stadtmauern und markanten Gebäude der Befestigungsanlage nicht länger tatenlos zusehen und für deren Erhalt einen Verein gründen. Daraus wurde aber zunächst nichts, sie erntete nur bedauerndes Kopfschütteln. Zu der Zeit ging es um anderes: um Wohnungen und die Versorgung der Einwohner. Wehrtürme und Mauer hatten zu warten. Wahrscheinlich wären sie irgendwann zusammengefallen.

An „Mauerhilde“ kam niemand vorbei

Doch Hildegard Ramdohr nahm einen zweiten Anlauf, bekam eine neue Chance. Nach dem Fall der anderen, großen Mauer gründeten sie und einige Mitstreiter am 20. Juni 1990 einen Verein mit dem etwas sperrigen Namen „Förderkreis Restaurierung und Erhaltung der historischen Stadtbefestigungsanlagen“. Einen Verein, der bald nur noch „Förderkreis“ hieß und an dessen Spitze „Mauerhilde“ stand.

An ihr kam niemand vorbei: kein Oberbürgermeister, kein Bankvorstand, kein Bauminister und auch nicht die Bundesstiftung Denkmalschutz. Der Rentnerin gelang es, bis zu 300 Mitglieder für ihren Verein zu begeistern. Sie fand prominente Mitstreiter und Unterstützer wie die Sparkasse, die Silbermünzen mit markanten Stadtansichten prägen ließ. Der Verkaufserlös floss in die Sanierung.

Hildegard Ramdohr: „Man muss mit den Menschen reden“

Ihr Erfolgsrezept? „Man muss mit den Menschen reden. Manchmal war mein Mund schon ganz fusselig“, sagt die alte Dame, die sich erst vor wenigen Jahren von ihrem Amt zurückzog und den Vorsitz in jüngere Hände legte. Einen Ratschlag hat sie auch den heutigen Mitstreitern mit auf den Weg gegeben: „Wenn man etwas erreichen will, muss man systematisch dranbleiben - und das mit Herz und Verstand.“ Hildegard Ramdohr ist drangeblieben, ging den Leuten, wenn es drauf ankam, auch auf die Nerven, nutzte ihre Kontakte und schaffte es so, im Laufe der Jahre nach eigenen Angaben 325.000 Euro an Spenden für die Erhaltung der Stadtbefestigungsanlage zusammenzubringen. Mit dem Geld unterstützte der Verein auch städtische Projekte.

Sehr früh erkannte Hildegard Ramdohr das große Potenzial der Stadt. Die Freundschaft ihrer Eltern mit dem Stadtbaurat und später selbstständig arbeitenden Architekten Hans Heckner (1878 - 1949) förderte ihr Empfinden für die Baukunst. Geschichtlich interessiert ist sie sowieso. Dabei musste die gebürtige Rheinländerin ihren Frieden mit der Stadt erst machen. Sie kam im November 1938 dort an. Ihr Vater arbeitete bei Junkers - in Aschersleben gab es eine Zweigniederlassung. Das 13-jährige Hildchen, schon damals selbstbewusst und mit eigenem Kopf, war aber zunächst alles andere als begeistert. Heimweh und Sehnsucht nach ihren Freunden plagten sie, und es dauerte, bis sie Aschersleben als ihre neue Heimat annehmen konnte.

Beharrlicher Einsatz für Befestigungsanlagen in Aschersleben

Jahrzehnte später wird ihr Engagement von höchster Stelle gewürdigt. 1997 erhält Hildegard Ramdohr den Verdienstorden der Bundesrepublik, 2014 das Bundesverdienstkreuz. Zwei Jahre zuvor wird ihr die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen. Wer heute auf der „Promenade“ entlangflaniert, der trifft auf Spuren aus Vergangenheit und Gegenwart gleichermaßen. Er bekommt nicht nur eine Ahnung von der Struktur der mittelalterlichen Stadt mit ihren Befestigungsanlagen. Er streift auch die Parks und Gärten, die für die Landesgartenschau 2010 umgestaltet wurden und Aschersleben zu neuem Ansehen verholfen haben. Und Hildegard Ramdohr?

Sie ging vor sechs Jahren im Förderkreis von der Brücke. Ihr Erbe aber lebt fort. Mitgliedsbeiträge und Spenden machen es dem Verein immer noch möglich, Projekte zu fördern - so zuletzt etwa Sanierungsarbeiten am Rabenturm. Nun will sich der Förderkreis darauf konzentrieren, Arbeiten an der Stephanikirche zu unterstützen. „Sie war ja allein durch ihre Größe ein Teil der Stadtbefestigung“, sagt der heutige Vorsitzende Frank Hüttepohl.

Denn nachfolgenden Generationen könne nur hinterlassen werden, was erhalten werde - genau das Credo von „Mauerhilde“.  (mz)

Rekonstruktionsversuch der Ascherslebener mittelalterlichen Befestigungsanlagen nach Archiv- und Bauakten.  Quelle: Stadt Aschersleben
Rekonstruktionsversuch der Ascherslebener mittelalterlichen Befestigungsanlagen nach Archiv- und Bauakten.  Quelle: Stadt Aschersleben
Zeichnung/Wolfgang Kilian