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«Läden um die Ecke» «Läden um die Ecke»: Für alle, die gern gut abschneiden

Von Kerstin Beier 13.08.2004, 20:04

Aschersleben / MZ. - Im Haushalt von Heidemarie Noah sind alle Messer scharf. Logisch. Ihr Mann Gerhard ist Instrumentenschleifermeister - in diesem Beruf müssen ihm stumpfe Werkzeuge einfach ein Gräuel sein. Doch das mit des Messers Schärfe war nicht immer so. Da ging es Frau Noah so wie den Schustern, die angeblich die schlechtesten Schuhe haben.

Bis zur Wende lebten die Noahs, Inhaber des kleinen Geschäfts in der Ascherslebener Taubenstraße, vor allem vom Handwerk. Viele stumpf gewordene Schneidwerkzeuge von Frisörschere bis Skalpell nahm die freundliche Frau täglich entgegen. Ihr Mann stand von morgens bis spät abends in der Werkstatt. Trotzdem mussten die Kunden etwa fünf Wochen warten, bis sie ihr Gerät geschliffen und poliert zurückbekamen. "Es gab so viel zu tun, für unsere eigenen Sachen hatte mein Mann einfach keine Zeit. Manchmal hab ich meine Messer so eingepackt wie die Kundenaufträge und sie ihm untergeschmuggelt", erzählt sie lächelnd. Damals hielten die Leute alle zehn Finger über einmal Erworbenes. "Da haben wir manchmal Dinge geschliffen, die eigentlich längst ausgedient hatten", erinnert sie sich.

Das ist lange her. Inzwischen ist das Angebot an Qualitätsmessern riesig, dafür sind die Aufträge dünn gesät. Krankenhaus, Fleischereibetriebe, Kindermoden oder Schneidereien sind als Kunden so gut wie ausgefallen. Im Krankenhaus wird fast ausschließlich Einwegmaterial verwendet, Kindermoden gibt es nicht mehr, die Fleischereien und Schneidereien kann man an zwei Händen abzählen. Kunden, die gute Scheren und Messer bei Noahs schleifen lassen, warten zwei bis drei Tage; im Winter zur Schlachtezeit kann es etwas länger dauern.

An Privatkunden verkauft Heidemarie Noah, die das Geschäft 1969 von ihrer Mutter übernahm, vor allem Scheren und Berufsmesser. "Wer ein oder zweimal eine billige Schere hatte, steigt um und kauft Qualität", weiß sie aus Kundengesprächen. Und die Kunden betreten den kleinen, gemütlichen Laden mit den alten Vitrinen aus dunklem Holz gern. Im Nachhinein erweist es sich als Vorteil, dass die eigentlich aus Geldmangel nicht ausgetauschten Regale noch da sind. Vor allem die älteren Kunden würden sich mit dem alten Mobiliar wohler fühlen, so Frau Noah.

Die Geschichte des Ladens reicht weit zurück: Bereits kurz nach der Jahrhundertwende, 1906, gründete Otto Trapp - ein Schwager der Großmutter von Heidemarie Noah - die Schleiferei, die sich damals noch am Düsteren Tor befand. So genau weiß Frau Noah nicht mehr, seit wann die Taubenstraße Geschäftssitz ist. Wohl seit den 20er Jahren, vermutet sie. Nachdem die Oma das Geschäft geerbt und die Mutter es ein paar Jahre weitergeführt hatte, übernahm Heidemarie, gelernte Verkäuferin, das Geschäft.

In dieser Zeit schulte ihr Mann um, um ebenfalls einzusteigen. "Wenn ich heute so viel schleifen könnte wie früher, hätte ich keine Sorgen", meint Gerhard Noah, der nicht daran glaubt, dass eins seiner zwei erwachsenen Kinder in die Fußstapfen der Eltern tritt. "Eine Familie mit Kindern kann man heute mit dem Laden nicht mehr ernähren", weiß er. Vor der Wende gab es etwa 50 Schleifer-Kollegen im ehemaligen Bezirk Halle. Sieben oder acht Schleifereibetriebe existieren noch. Er selbst will noch bis zur Rente weitermachen. Im Dienste derer, die messerscharf kalkulieren und gern gut abschneiden.