Fünfzig Jahre ständig am Puls der Zeit
Thale/MZ. - Trotzdem: "Etwas Wehmut ist dabei", gesteht der Ex-Berliner, der vor 30 Jahren nach Thale kam, um das Geschäft seines Schwiegervaters in der Karl-Marx-Straße 8 zu übernehmen. Weil der eigene Nachwuchs nicht in die elterlichen Fußstapfen treten wollte, geht nun eine über 100-jährige Familientradition unweigerlich zu Ende.
Erste Haus am Platz
An gleicher Stelle, in der damaligen Hüttenchaussee 36, hatte 1897 der Uhrmacher Albert Brüggemann sein Geschäft eröffnet. Es galt als erstes (Uhren-)Haus am Platze. Als Schwiegersohn Bernhard Langgut 1938 den Betrieb übernahm, gehörte das Pflaster vor der Ladentür schon zur Adolf-Hitler-Straße.
Und als Tochter Helga das väterliche Handwerk erlernte, war Thales Geschäftsmagistrale bereits zur Karl-Marx-Straße mutiert. Doch die frisch gebackene Uhrmacherin zog es von der Bode an die Spree. Ein Uhrmacher-Meister aus Berlin-Schöneweide suchte per Annonce neue Fachkräfte. Es war der Ex-Lehrherr von Peter Schulz. Zwar arbeitete Schulz inzwischen in einer anderen Werkstatt, die aber mit seinem Ausbildungsbetrieb verwandtschaftlich verbunden war - die schicksalhafte Begegnung mit Helga Langgut war damit unausweichlich. Und natürlich folgenreich. 1974 gingen Helga und Peter Schulz nach Thale. Und Langguts in den Ruhestand. Es war jene Zeit, in der die elektronischen Quarzuhren die mechanische Federzuguhr verdrängten und sich das Berufsbild des Uhrmachers ein erstes Mal änderte.
Den zweiten großen Einschnitt erlebte das Uhrmacher-Paar nach der Wende, als die Invasion der Billiguhren begann, Uhrenreparatur und -service schlagartig an Bedeutung verloren. Der Uhrmacher avancierte zum Verkäufer, 50 Prozent des Umsatzes machten Schulzes zuletzt mit dem Verkauf von Schmuck. "Hochwertiges wird aber kaum verlangt, die Kaufkraft ist zu gering", spüren die Geschäftsleute. Urlauber spielen als Kunden nur noch eine untergeordnete Rolle.
Vorbei auch die Zeiten, als "nach Schichtschluss der Hütte die Straße und der Laden voll waren". Dafür profitierten Schulzes von zahlreichen Stammkunden. "Manchmal kamen sie mit Uhren, die wir schon vor zehn oder 20 Jahren repariert haben", freut sich Peter Schulz. Noch größer war die Freude, wenn 'mal eine alte Taschenuhr auf dem Werktisch landete. Dann wurde die Reparatur zur Kür. Und Peter Schulz hatte wieder das Gefühl, "doch einen schönen Beruf erlernt zu haben". Wenn er am Vorabend seines 65. Geburtstages von einem "erfüllten Berufsleben" spricht, denkt er auch an seine fast 20-jährige Tätigkeit als Innungsobermeister, gesteht der leidenschaftliche Handwerker.
Pflege eigener Uhren
Doch auch sein Leben im Ruhestand werde ausgefüllt sein, ist Schulz überzeugt. Schließlich seien beide leidenschaftliche Wanderer und Globetrotter, die selbst Australien schon zweifach besuchten, aber noch manchen Landstrich entdecken wollen. Und in Thale warten der Garten und der private Uhren-Fundus auf meisterliche Pflege, schmunzelt Schulz. Das Geschäft bleibt übrigens in fachmännischer Hand, der Quedlinburger Uhrmacher Andreas Ott wird es weiterführen.