Friedhof Friedhof Schmidtmannstraße Aschersleben: Kunsthistorikerin spricht über den Umgang mit Verstorbenen

Aschersleben - Selten herrscht in der Verwaltung des Bauwirtschaftshofes in der Heinrichstraße 71 in Aschersleben ein Publikumsverkehr wie dieser Tage. Eine einzige Frau ist es, die den Büroalltag, derart auf den Kopf stellt: Anja Kretschmer, ihres Zeichens Friedhofsflüsterin.
Zum zweiten Mal kommt die Rostockerin im Frühjahr nach Aschersleben, der Kartenvorverkauf hat vor wenigen Tagen begonnen. Zwei Friedhofsführungen gibt es – am Freitag, 3. Mai, und am Sonnabend, 4. Mai. Auf dem rund anderthalbstündigen Rundgang, der um 21 Uhr beginnt, nimmt Anja Kretschmer die Teilnehmer wieder mit in vergangene Jahrhunderte.
Anja Kretschmer spricht über Beerdigungen und Totenkult in der Vergangenheit
Diesmal erzählt sie ihnen unter anderem, wie damals mit den Verstorbenen umgegangen wurde, erklärt, warum unsere Vorfahren bis zur Beerdigung Wache am Toten hielten, wozu Körperhalter dienten, was Haare mit Trauer zu tun hatten und weshalb der verstorbene Körper durchaus ein lukratives Geschäft darstellte.
Es geht „rund um die Leiche. Von Leichenwache, Leichenraub und Leichenfett“, wie der zweite Teil des Friedhofsgeflüsters – drei Teile gibt es – überschrieben ist. Über die Führungen, Friedhöfe und den Tod sprach MZ-Redakteurin Susanne Thon mit der Kunsthistorikerin Anja Kretschmer.
Sie haben am 4. Mai Geburtstag – andere gehen Essen, Sie mit den Ascherslebenern auf den Friedhof.
Anja Kretschmer: (lacht) Was soll man in meinem Alter auch sonst machen?
Was bedeuten Ihnen Friedhöfe?
Kretschmer: Friedhöfe sind für mich schon immer faszinierende Orte gewesen, wo wir unseren Ahnen nahe sein können, ohne sie gekannt zu haben, Zeugnisse von Menschen, deren Leben jedes für sich eine eigene Geschichte darstellt. Mittlerweile bedürfen diese geschichtsträchtigen Orte eines besonderen Schutzes, denn wie so vieles sind wir auch an diesen Stätten dabei, diese mehr und mehr auszumerzen.
Sie verbringen einen nicht unerheblichen Teil des Jahres auf Friedhöfen und befassen sich intensiv mit den Themen Tod und Sterben. Wie hat das Ihre Einstellung zum Leben beeinflusst?
Kretschmer: Eigentlich begleitet mich dieses Thema schon immer und während des Studiums dann hintergründiger. Ich finde die Auseinandersetzung mit dem Tod wichtig und war schon immer jemand, den gerade die Dinge interessieren, bei denen der Großteil unserer Menschheit eher wegschaut.
Ihre ersten Führungen in Aschersleben im September waren binnen Nullkommanichts ausverkauft; auch diesmal ist der Kartenvorverkauf hervorragend angelaufen. Was glauben Sie, woran das liegt?
Kretschmer: Ich denke, dass es an dieser Faszination unserer Endlichkeit liegt. Niemand kann mit Sicherheit sagen, was nach unserem Tod kommt, und ob nicht doch die Geister auf den Friedhöfen unterwegs sind.
Andererseits sind die Geschichten, die ich erzähle, so abstrakt, dass sie genügend Sicherheitsbildenden Abstand für den Zuhörer darstellen, und er sich trotzdem damit identifizieren kann, da es direkt unsere Vorfahren betrifft, die diese Bestattungskultur lebten. Und unsere Geschichte ist immer spannend, wenn sie ebenso veranschaulicht wird.
Dennoch gibt es Menschen, die finden das, was Sie tun, pietätlos. Was sagen Sie dazu?
Kretschmer: Die Menschen, die es als pietätlos empfinden, sehen nur die Ankündigungen in der Zeitung und den Plakaten, lesen die Uhrzeit und finden es sonderbar und dementsprechend unseriös, wenn jemand abends über den Friedhof streift.
Denn wer in der Dunkelheit umherstreift, hat etwas zu verbergen oder führt etwas im Schilde. Diese Menschen sind aber nie bei den Führungen dabei. Sie könnten sich ja dort vom Gegenteil überzeugen.
Können Sie sich vorstellen, dass in 200 Jahren jemand etwas Ähnliches macht wie Sie heute? Worüber würde er wohl sprechen – über 08/15-Bestattungen, anonyme Urnenhaine und Friedhofsgebühren?
Kretschmer: Das wäre schön, wenn es dann auch so jemanden geben würde, und vielleicht würden die dann über unsere Ängste lachen und darüber, dass wir so große Berührungsängste haben …
Sie sind ein kleiner Familienbetrieb – Mann und Kind haben Sie häufig dabei. Wann und wie werden Sie Ihrem Kind verständlich machen, womit Sie sich beschäftigen?
Kretschmer: Das stimmt. Mein großer Junge ist damit ganz natürlich aufgewachsen und ich habe ihn auch bei privaten Trauerfällen mit einbezogen und habe direkt an ihm gesehen, wie natürlich und gesund genau so ein Umgang ist.
Ab wann sollte man mit Kindern über den Tod reden?
Kretschmer: Je früher, desto besser. Damit geben wir den Kindern die Möglichkeit, eben nicht diese Scheu und Angst zu entwickeln, die wir selbst besitzen. Diese Haltung und diese Befürchtungen bestehen in den Erwachsenen, nicht in den Kindern. Wir sollten diese nicht auf sie projizieren, sondern unseren Kindern viel mehr zutrauen.
Neben Führungen kann man Sie für Vorträge buchen, Sie veranstalten ein Wissensfestival, die „Akademie des Todes“, und schreiben Bücher. Erst in dieser Woche ist „Friedhofsgeflüster“ erschienen. Womit darf man noch rechnen?
Kretschmer: Ja, wenn Sie das so aufführen, wird schon deutlich, dass es zu diesem Thema doch sehr, sehr viel zu berichten, schreiben, singen etc. gibt. Mein erstes Buch zur Führung ist nun erhältlich, und es geht weiter.
Ich habe noch einige andere Ideen für Bücher, ein zweiter Teil ist schon fest in Planung. Dann sind da noch die ehrenamtlichen und wissenschaftlichen Arbeiten, die viel Zeit und Herzblut erfordern – zum Beispiel im Wismarer Friedhofsverein, einige Projekte, wie die einer kleinen Ausstellung in einer alten Friedhofskapelle in der Mecklenburgischen Seenplatte etc. Und dann bin ich ja auch noch Trauerrednerin unter der Woche. (mz)