Arbeitsgemeinschaft "Du und dein Haustier" Arbeitsgemeinschaft "Du und dein Haustier": Heilsame Tierbesuche bei Wachkomapatienten

Aschersleben/ Kleinkühnau - Völlig regungslos liegt Wolfgang Freystadtl in seinem Krankenbett. Er hört die Schwestern und den Besuch um sich herum sprechen, sieht wie sie sich in seinem Krankenzimmer bewegen, spürt ihre Berührungen.
Doch auf ihre Fragen antworten, ihren Händedruck erwidern, das kann er nicht. Der damals 55-Jährige liegt im Wachkoma. Sechs Wochen soll sein Zustand anhalten. Sechs lange Wochen, in denen er künstlich ernährt wird und an einen Beatmungsschlauch angeschlossen ist. In denen er sprechen will, aber keinen Ton von sich geben kann.
Bis zu 5.000 Menschen jährlich betroffen
16 Jahre liegt dieses einschneidende Erlebnis mittlerweile zurück. Nach einer Schilddrüsen-OP kommt es damals zu Komplikationen und Freystadtl wird in ein Wachkoma versetzt. Bis zu 5.000 Menschen fallen in Deutschland jedes Jahr in diesen Zustand. Einigen gelingt es, sich wieder in die Welt der Wachen zurück zu kämpfen. Andere Patienten dämmern jedoch dauerhaft vor sich hin. Der heute 71-Jährige hat Kampfgeist und mit Sicherheit auch eine große Portion Glück - denn er gehört zu Ersteren und erwacht aus dem apallischen Syndrom, wie der medizinische Fachbegriff für das Wachkoma lautet.
Ereigniss hinterlässt Spuren
Solch dramatische Erlebnisse hinterlassen natürlich ihre Spuren. So auch bei Wolfgang Freystadtl: „Diese Machtlosigkeit, das Wollen, aber nicht Können, das lässt dich verzweifeln“. Deshalb engagiert er sich seither ehrenamtlich für Menschen, denen es genauso geht wie ihm einst. Als Leiter der Arbeitsgemeinschaft „Du und dein Haustier“, die unter dem Dach des Kultur- und Heimatvereins Dessau-Kleinkühnau arbeitet, stattet er gemeinsam mit anderen Mitgliedern Tierbesuche in Alten- und Pflegeheimen der Region ab. Dort bringen sie Hunde, Katzen und Senioren zusammen. Ältere Herrschaften können die ausgebildeten Tiere streicheln, sie füttern und mit ihnen spielen. 23 Mitstreiter und 15 Hunde zählen zur AG, die sich einmal im Monat aufmacht, um „den Senioren ein Stück Lebensfreude zurückzugeben“, wie der 71-Jährige sagt.
Die Kleinkühnauer AG hat sich vor sieben Jahren gegründet und bringt Hundeliebhaber und -besitzer zusammen. Geleitet wird sie von Wolfgang Freystadtl und arbeitet unter dem Dach des Dessau-Kleinkühnauer Kultur- und Heimatvereins. Die Mitglieder organisieren aber längst nicht nur Tierbesuche in Alten- und Pflegeheimen. Die Arbeitsgemeinschaft engagiert sich bei Veranstaltungen in Schulen und Kitas auch für den Tierschutz und ermöglicht es Kindern, ihre Berührungsängste gegenüber Hunden zu überwinden.
Da Wolfgang Freystadl und seine Mitstreiter ehrenamtlich arbeiten, sind Spenden immer willkommen: Arbeitsgemeinschaft „Du und dein Haustier“, Stadtsparkasse Dessau, DE37800535720030153666, BIC: NOLADE 21 DES.
Zur K&S Seniorenresidenz Dessau und zwei Altenheimen in Aken hat sich nach Angaben des Kühnauers seit Gründung der Arbeitsgemeinschaft bereits eine recht feste Partnerschaft entwickelt. Und unter den Bewohnern der von Freystadtl und dessen Kollegen besuchten Heime, befinden sich oftmals auch Wachkoma-Patienten.
Seit sechs Jahren im Wachkoma
So wie im Fall einer 45-jährigen Frau, die im Senioren-Wohnpark in der Aschersleber Askanierstraße lebt und sich mittlerweile bereits seit sechs Jahren in einem Zustand zwischen tiefer Bewusstlosigkeit und bewusstem Wachsein befindet. Auf Bitten ihrer Mutter hin hatte ihr Freystadtl im Januar einen Besuch abgestattet. Im Gepäck hatte der Kühnauer die beiden Yorkshire Terrier Hanni und Granni sowie die zutrauliche Katze Mauzi. Auch die Mutter der Wachkomapatientin war zugegen - wollte sie sich doch selbst vom positiven Effekt des Tierbesuches überzeugen. Und keiner der Anwesenden sollte an diesem Nachmittag enttäuscht werden.
„Als wir ihre Hand über das Fell der Tiere geführt haben, konnten wir ein leichtes Lächeln in ihrem Gesicht erkennen“ berichtet der 71-Jährige sichtlich gerührt. Bei diesem Anblick hätten zuerst alle Anwesenden einen Kloß im Hals gehabt, danach sei eine riesige Anspannung von ihnen abgefallen. Eine Stunde dauerte der emotionale Tierbesuch und am Ende hätte sich die Patientin sogar in Richtung der Vierbeiner bewegt. „Nach einem so erfolgreichen Besuch empfindet man pures Glück“ beschreibt Freystadtl das Erlebte.
Einrichtungsleiter bestätigt Erfolge
Auch Andreas Franke, Einrichtungsleiter des Senioren-Wohnparks in Aschersleben kann die positive Wirkung von Tierbesuchen auf Wachkoma-Patienten bestätigen. Der Tierkontakt würde bei vielen Menschen dazu führen, dass Verkrampfungen gelöst werden. Deshalb sei die Leitung des Seniorenparks auch bestrebt, die Tiertherapie im Haus auszubauen. „Die heilende Wirkung von Tieren ist unbestreitbar. Leider gibt es bisher noch zu wenige Menschen, die solche Besuche anbieten.“
Fragt man Wolfgang Freystadtl nach seiner Motivation, so sagt er, es sei ihm eine Befriedigung, anderen Menschen zu helfen. Könne er sich doch in ihr Leid, ihren Kampf hineinfühlen. Als er im Wachkoma gelegen hatte, habe er vor allem eins verspürt: Wut. Weil er seine Situation nicht ändern konnte, weil er nicht wusste wie lange der Schwebezustand zwischen Leben und Tod anhalten würde. Einer Sache ist er sich seither aber sicher: „Wachkomapatienten sind nicht verloren. Deshalb muss man ihre verbliebenen Ressourcen fördern.“ Und deshalb hat der 71-jährige Kleinkühnauer den unbändigen Willen zu helfen. (mz)