Amtsgericht Aschersleben Amtsgericht Aschersleben: Reinigungskraft belästigt: Nur taktlos oder eine Straftat?

Aschersleben - Der Prozess hat kaum begonnen, Carolin Blanke, die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, gerade eine Anklage gegen einen Ascherslebener Rentner verlesen, da stellt Rechtsanwalt Michael Spielmann seinen ersten Antrag. Er will die Öffentlichkeit während der Aussage des Angeklagten ausschließen. Nach einer kurzen Unterbrechung der Verhandlung gibt Richter Robert Schröter dem Antrag statt.
Beleidigung führt auf Anklagebank
Das, was den gelernten Dachdecker Max (Name geändert) auf die Anklagebank führt, heißt im Juristendeutsch eher unspektakulär „Beleidigung“. Richter Schröter nennt es wenig später „ein Delikt mit sexuellem Bezug“. Max wohnt mit seiner Frau in einem Plattenbau, die 38-jährige Paula (Name geändert) reinigt dort Hausflur und Keller. So auch an jenem Septembertag, als der alte Mann sie im Keller umarmt haben und sie an Brust und Po angefasst haben soll. „Er hat mir ins Ohr geflüstert: Ich will mit dir Liebe machen. Später sagte er dann, ich solle mich nicht so haben“, berichtet die Frau im Zeugenstand.
Sie war von ihrer Chefin vorgewarnt, dass der Mann schon andere Kolleginnen sexuell belästigt haben soll. Gleich nach dem Vorfall rief sie ihre Vorgesetzte an, die ihr riet, zur Polizei zu gehen. Zudem veranlasste das Unternehmen, das für die Wohnungsgenossenschaft putzt, dass Paula und ihre Kolleginnen in diesem Aufgang nur noch zu zweit fegen und wischen.
Opfer war wie gelähmt
Wie lange die Attacke gedauert habe, will die Anklagevertreterin von der Reinigungskraft wissen. „Zwei bis drei Minuten hat er mich so festgehalten. Ich war wie gelähmt.“ Rechtsanwalt Spielmann bemerkt: „Eine ziemlich lange Zeit“ und wundert sich, dass sie sich nicht gewehrt oder geschrien habe. „Ich hätte in der Situation laut losgelacht, wenn dieser Mann so etwas sagt.“ Für Kopfschütteln im gut gefüllten Zuschauerraum sorgt der Anwalt, als er wissen wollte, welche Hand auf welcher Brust lag. „Wie soll ich mich nach fünf Monaten daran erinnern“, fragt die Frau.
Der Angeklagte stelle nicht in Abrede, Paula angefasst zu haben. „Das war eine Sekundensache, eine Art väterliche Umarmung,“ gibt Spielmann die Aussage wider. Der Anwalt hält es zwar nicht für normal, was sein Klient da getan hat. „Aber es stellt sich die Frage, ob es sich um eine Taktlosigkeit handelt oder ob eine strafrechtliche Relevanz vorliegt.“
Ehrverletzug oder nicht?
Anklagevertreterin Carolin Blanke streicht heraus, dass Max, der keinen Eintrag im Strafregister hat, sich geäußert habe und die Tat bestritt. Es blieben Zweifel, es könne etwas missverstanden und überreagiert worden sein. Sie frage sich, warum die Frau in den zwei oder drei Minuten nicht geschrien und auf sich aufmerksam gemacht hätte. „Das reicht für keine Verurteilung. Ich sehe da keine Ehrverletzung.“ So plädiert sie auf einen Freispruch.
Wie auch Anwalt Spielmann. „Ich halte das für komplett erfunden. Was die Zeugin hier gesagt hat, reicht nicht.“ Nicht umsonst habe sein Mandant statt den Strafbefehl gegen ihn anzunehmen, „bewusst die Offensive gesucht und sich auf die Bühne des Gerichts begeben“.
20 Sekunden werden zur Ewigkeit
Nur Richter Robert Schröter stört die Harmonie von Anklage und Verteidigung. „Ich sehe das völlig anders. Finden Straftaten nicht so statt, weil wir sie uns so nicht vorstellen können? Ich kann das, was Staatsanwaltschaft und Verteidiger hier vorgetragen haben, nicht nachvollziehen.“ Er ist sich sicher, dass in solcher Lage, wie sie Paula beschrieben hat, „20 Sekunden zu gefühlten zwei bis drei Minuten oder zur Ewigkeit werden.“ Solche älteren Männer wie Max erlebe er immer wieder auf der Anklagebank, die dann in Abrede stellen, was die Frauen aussagen.
Weiter vor dem Landgericht Magdeburg?
Das Amtsgericht verurteilt Max, der so gern aus seinem Plattenbau-Fenster schaut und Frauen verbal anmacht, wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätze zu 20 Euro.
Kurz darauf kündigte zumindest der Verteidiger an, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen. Sollte die Berufung erfolgreich sein, könnte in der nächstens Instanz vor dem Magdeburger Landgericht auch noch die Zeugin gehört werden, die nach Paulas Worten durch ihr Erscheinen Max von ihr ablassen ließ, und die Mitarbeiterin der Reinigungsfirma, die schon früher von ihm sexuell belästigt worden sein will. (mz)