1. MZ.de
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Technik
  6. >
  7. Streaming-Portal Kinox.to: Streaming-Portal Kinox.to: Illegale Millionengeschäfte im Kinderzimmer

Streaming-Portal Kinox.to Streaming-Portal Kinox.to: Illegale Millionengeschäfte im Kinderzimmer

Von Bernhard Honnigfort 06.11.2014, 13:14

Berlin - Es musste schnell gehen: Am 29. Oktober, einem Mittwoch, nehmen Polizisten zwei Männer in Nordrhein-Westfalen fest, während eine Spezialeinheit zur gleichen Zeit ein unscheinbares Reihenhaus in Pansdorf bei Lübeck in Schleswig-Holstein stürmt. Die schwer bewaffneten Polizisten brechen durch die Haustür und durchsuchen das Kinderzimmer, doch die Gesuchten sind über alle Berge.

Es sei nicht leicht gewesen, den beiden überhaupt auf die Spur zu kommen, sagt der Dresdner Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Sie waren vorher nie aufgefallen, sie lebten nicht auf großem Fuß, sie haben ihr Geld nicht gezeigt.“

Die beiden Brüder, nach denen nun europaweit gefahndet wird, heißen Kastriot und Kreshnik Selimi, der eine ist 25, der andere 21, der eine etwas wuchtiger gebaut, der andere eher schmal. Kastriot kam im Kosovo zur Welt, sein jüngerer Bruder in Schweden, nachdem die Eltern aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg geflohen waren. Beide Männer gelten als gewaltbereit, die Polizei warnt, sie könnten Schusswaffen besitzen.

Die Selimis sollen enorm kreative Netzkriminelle sein: Vom Kinderzimmer im Elternhaus bei Lübeck sollen die beiden das illegale Raubkopienportal kinox.to sowie die Portale freakshare.com und bitshare.com betrieben und nebenbei Straftaten wie räuberische Erpressung, Nötigung, Brandstiftung, Urheberrechtsverletzung und Steuerhinterziehung begangen haben.

Geld angehäuft, statt es zu verprassen

Oberstaatsanwalt Klein spricht von einem „neuen Tätertyp“: Zwei junge Männer, die sehr zurückgezogen und unauffällig lebten, aber eine Menge Geld anhäuften, das sie nicht verprassten, sondern wahrscheinlich anlegten, um mehr „Marktmacht“ zu erlangen. Es gehe um Millionenbeträge, so der Ermittler. Allein die Steuerschuld der beiden liege bei etwa 1,3 Millionen Euro.

Aber die beiden sollen nicht nur im Netz, sondern auch im richtigen Leben unterwegs gewesen sein: Mit Methoden gewöhnlicher Schwerkrimineller sollen sie versucht haben, sich lästige Konkurrenz vom Hals zu schaffen. Es soll Morddrohungen gegeben haben, in einem Fall brannte das Auto eines Konkurrenten ab.

Angeblich wollten die beiden mit Unterstützung von Komplizen ein Imperium, basierend auf Raubkopiererei, aufbauen: Die beiden Brüder gelten auch als Betreiber des internationalen Portals „movie4k.to“, der deutschen Portale „mygully.com“ und „boerse.sx“, außerdem von „stream4k.to“ und „shared.sx“, zwei Filehostern, die sich auf die Speicherung von Raubkopien spezialisiert haben.

Die Geschäfte müssen gebrummt haben. In der Regel gibt es zwei Arten, im kriminellen Filmbusiness reich zu werden: Man vertreibt die illegalen Mitschnitte per Abo für rund zehn Euro im Monat. Für die Abnehmer interessant, weil angeblich oft die Filmqualität besser sein soll als bei legalen Kopien. Außerdem gibt es keine Reklame mittendrin. Das zweite Geschäftsmodell funktioniert über bezahlte Werbebanner, meist aus der Erotikbranche, die über den Bildschirm huschen.

Brüder sind untergetaucht

Laut Oberstaatsanwalt Klein aus Dresden hat allein das Portal kinox.to zwei Millionen Besucher – pro Tag. Kinox.to und Movie4k.to verlinken die Filmsuchenden auf mehr als 1,3 Millionen Filme, Movie4k.to auf etliche Hunderttausend. Natürlich sind aktuelle Blockbuster wie die gerade bei Jugendlichen gefeierten „Teenage Mutant Turtles“ oder „Transformers 4“ darunter. Die Nutzer fühlen sich schuldlos oder wähnen sich geschützt in einem juristischen Graubereich, weil umstritten ist, ob und wie sie belangt werden können, wenn sie irgendwo „streamen“, sprich: mitschauen, und sich eben keine Kopien herunterladen.

Die Brüder sind seit längerem verschwunden. Es gebe keine heiße Spur, sagt Oberstaatsanwalt Klein. Das Portal Kinox.to gibt es allerdings immer noch: Die Selimis haben die Passwörter mitgenommen, ohne sie ist es unmöglich, Filmportale abzuschalten.

Für die Ermittler in Dresden haben die beiden Brüder und ihre Vorgehensweise eine neue Qualitätsstufe erreicht: Netz und wirkliche Welt treffen sich, beides geht Hand in Hand. Waffen kommen ins Spiel, aber angeblich gibt es auch Verknüpfungen in die russische Unterwelt, führen Spuren der beiden nicht nur nach Pansdorf oder Leipzig, wo sie das 2011 von der Polizei geschlossene Vorgängerportal kino.to übernommen und schlicht umbenannt haben sollen. Es gebe Verbindungen in alle Welt, nach Zypern, in die USA, auf die Jungferninseln. „Das ist die organisierte Kriminalität der Zukunft“, sagt Klein. „Durchaus eine große Nummer.“

Phantome im Internet

Zwar verdienten die beiden Männer im Internet ihr Geld, sie selbst allerdings sind dort unauffindbar. Es gibt keine Hinweise, keine Spuren in der Parallelwelt, sie sind Phantome. Wahrscheinlich ist auch das ein Grund, warum die Ermittler ihnen so schwer auf die Spur kamen: Im Januar 2013 standen schon einmal Lübecker Polizisten in dem Reihenhaus in Pansdorf. Sie waren auf der Suche nach Raubkopien und konnten nicht ahnen, wo sie gelandet waren. Sie fanden im Kinderzimmer eine Pistole, Munition und eine Menge Festplatten. Aber es sollte ein ganzes Jahr dauern, bis Experten der Kriminalpolizei die verschlüsselten Informationen über das Treiben der beiden Brüder entziffern konnten. Und erst vergangenen Sommer ging ihnen ein Licht auf, mit wem sie es in dem Kinderzimmer bei Lübeck zu tun hatten.

Nun sind die beiden auf der Flucht, und die Polizei möchte wissen, wer sie nach dem 1. Juli gesehen hat. Wo die vermuteten Millionen versteckt sind, ist auch völlig unklar. Nur bei einer Sache ist sich der Dresdner Oberstaatsanwalt gewiss: „Dieser Tätertyp“, sagt Klein, „der wird uns sicher noch über Jahre begleiten.“