Fotografie Fotografie : 360-Grad-Filme und VR-Brille statt Urlaub?

Halle (Saale) - Das Bild des typischen Touristen sieht so aus: Ein zu enges T-Shirt, kurze Hosen, weiße Socken und die Füße in bequeme Sandalen gebettet. Hauptmerkmal des Touristen ist aber die große und schwere Spiegelreflexkamera, die auf dem Bierbauch des Entdeckungsreisenden ruht.
Viele der Punkte dürften wirklich auf den ein oder anderen Touristen zutreffen, letzterer allerdings nicht mehr. Er ist sozusagen aus der Mode gekommen: Teure Spiegelreflexkameras begleiten auch die Deutschen kaum mehr in den Urlauben. Stattdessen ist das Smartphone mit seiner Kamera zum beliebtesten Reisebegleiter geworden. Die Sensoren eines Touchscreen-Handys nehmen schließlich schon fast bessere Fotos auf als so manche Kompaktkamera. Die Panasonic Lumix Camera CM1 etwa, ein sogenanntes Kamera-Smartphone, kommt auf bis zu 20 Megapixel, hat ein Leica-Objektiv und einen ein Zoll großen Bildsensor, wie er normalerweise in keinem Smartphone verbaut ist.
CM1: Kamera-Handy-Hybrid
Technisch ist der Kamera-Handy-Hybrid CM1 damit auf Augenhöhe mit klassischen Kompakt- und Reisezoom-Kameras. Die waren bisher dafür verantwortlich, dass nach Berechnungen des Unternehmens Infortrend weltweit insgesamt mehr als eine Billion Fotos jährlich von Hobbyfotografen und Profis festgehalten werden. Das britische Unternehmen Brandwatch rechnet damit, dass künftig täglich 350 Millionen Fotos auf Facebook, 95 Millionen auf Instagram, 400 Millionen beim Fotoportal Snapchat und 1,6 Milliarden über den Messenger WhatsApp geteilt werden. Aber die meisten davon werden nicht mit Spiegelreflex- oder Reisezoom-Geräten aufgenommen werden. Sondern mit dem Handy.
Canon, Sony und Nikon unter Druck
Eine tödliche Bedrohung für die Platzhirsche der Fotowelt. Schon länger sind die Verkaufszahlen für Kameras und Zubehör wie Fototaschen, Blitzgeräte und Wechselobjektive rückläufig. In den letzten fünf Jahren sank die Zahl der verkauften Digitalkameras in Deutschland von acht Millionen auf nur noch 3,5 Millionen. Gleichzeitig rüsten die Smartphone-Hersteller weiter auf, Kameras werden besser, Funktionen ausgefeilter - vielen Hobbyknipsern reicht das völlig aus. Zudem geht der Trend hin zu einer smarten Imagingwelt, in der Geräte untereinander und mit sozialen Netzwerken oder Cloudspeichern vernetzt sind. Ein Vorteil für Anbieter, die aus der neuen Technikwelt kommen wie Apple, Samsung und Co. Während klassische Kamerahersteller wie Canon, Sony und Nikon mühsam versuchen, ihren Geräten Wlan und GPS beizubringen.
Rainer Führes: „Die Fotobranche entwickelt sich wie das gesamte Medium Bild sehr dynamisch“
„Die Fotobranche entwickelt sich wie das gesamte Medium Bild sehr dynamisch“, beschreibt Rainer Führes, der Chef des Photoindustrie-Verbandes (PIV). Nach Auffassung des Experten befinde sich die Branche in einem Wandel, wie er in der über 175-jährigen Geschichte der Fotografie kaum jemals tiefgreifender war. „Der Wechsel von der digitalen zur smarten Imagingwelt erweist sich als anspruchsvoller als der Wechsel von der analogen zur digitalen Imagingwelt.“
Smartphone-Hersteller versehen ihre Handys mit besseren Chips und Objektiven, bekannte Kamerahersteller dagegen bieten nicht mehr nur reine Hardwarelösungen, sondern immer mehr auch maßgeschneiderte Software. Die Photokina in Köln, die größte Fotomesse der Welt, zeigte diesen Trend jetzt sehr deutlich. Waren es vor einigen Jahren noch Spiegelreflex- und Kompaktkameras, mit denen Hobbyfotografen hantierten, so kommen immer weitere Geräte hinzu, mit denen der Alltag festgehalten werden kann.
Action-Cams beliebt bei Sportlern
Sehr beliebt vor allem bei jungen Menschen und Sportlern sind sogenannte Action-Cams, die sehr klein sind und actionreiche Aufnahmen von sportlichen Aktivitäten liefern. Hier muss nichts eingestellt werden, die Kamera läuft, wenn sie angeschaltet wird. Dank Weitwinkelobjektiv ist immer alles scharf, dank wasserdichter Schutzhüllen, Klemmstative und Helmbefestigungen können die Mini-Kameras zum Tauchen ebenso mit wie auf die Skipiste. Das deutsche Marktforschungsinstitut GfK rechnet für das laufende Jahr weltweit mit einem Verkauf von 10,5 Millionen Stück, in Deutschland wird ein Absatz von 670 000 Stück erwartet.
Trend für den Moment
„Ob der Boom rund um die Action-Cams in den kommenden Jahren weiter anhalten wird, hängt von den Innovationen, aber auch von dem angebotenen Zubehör ab“, prognostiziert der Branchenverband PIV. „Je umfangreicher Letzteres sei, umso breiter gefächert sind künftige Einsatzgebiete, was wiederum die Nachfrage ankurbelt“, glauben die Experten des PIV.
GoPro und Bridge-Kameras
Die großen Kameramarken der Vergangenheit müssen darauf setzen, hier Punkte zu machen. Waren es anfangs Neueinsteiger wie GoPro, die das Feld der robusten Mini-Kameras beherrschten, sind mittlerweile auch Nikon, Sony und Rollei am Start. Zudem versuchen sie, mit sogenannten Bridge-Kameras auf anspruchsvolle Freizeitfotografen zuzugehen. Statt klobiger Spiegelreflextechnik versprechen diese elektronischen Fotoapparate eine Kombination aus der Kompaktheit der Reisezoom-Klasse mit der Aufnahmequalität von Spiegelreflexmodellen, die mit Wechselobjektiven betrieben werden.
360-Grad-Kamera und eine VR-Brille führen uns in fremde Länder
Die zukunftsweisendste Technologie aber ist zweifellos die sogenannte 360-Grad-Fotografie oder 360-Grad-Videoaufnahme, die es per Virtual Reality-Brille erlaubt, dass Menschen sich auf dem Sofa in Rundum-Fotos und -Filmen bewegen können. Dafür nötig sind eine 360-Grad-Kamera und eine VR-Brille, die derzeit allerdings noch recht teuer ist. Doch das waren die ersten Touchscreen-Handys auch. Und schon wenige Jahre danach hatte nahezu jeder eines. Wer weiß also: Vielleicht fährt der Deutsche bald gar nicht mehr in den Urlaub. Sondern setzt sich einfach seine VR-Brille auf und lässt sich so in fremde Länder entführen...
(mz)
