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Südfrankreich Südfrankreich: Herbstluft im Visier

Von THOMAS KRÄMER 30.09.2010, 16:42

Halle/MZ. - Wo bin ich? Es ist dunkel, die Straße schmal und der Hunger groß. Soll ich dem Navigerät weiter trauen, das mich in Richtung einer schwarzen, unüberwindlich scheinenden Bergwand führt? Noch zwölf Kilometer bis Valleraugue. Eine Viertelstunde. Das zumindest verkündet mir der elektronische Helfer. Ich glaube ihm, hoffe, dass ich mit dem schweren Cruiser nicht über Feldwege hoppeln muss. Noch zwei, drei enge Kurven, dann ein gerades Stück und ich müsste den Ort erreicht haben. Ich sehe ein Licht, kurz darauf zwei, kein Ortsschild, aber eine Häuserfront. Dann das Schild "Restaurant Les Bruyeres" und eine Garage für das Motorrad. Ufff. Die Sonne geht eben früh unter im französischen Herbst.

Valleraugue, das wird am nächsten Morgen klar, ist ein hübscher Ort mit alten Fassaden und einem Fluss. Wasser spielt eine große Rolle in dieser Region Frankreichs - den Cevennen. Der Name bedeutet nichts anderes als sieben Venen, womit die sieben Flüsse gemeint sind, die durchs Gebirge fließen und tiefe Täler geschaffen haben.

Der Herbst hat hier in den Bergen schon Einzug gehalten. Das ist an der kalten Luft zu spüren, die durch die Ritzen des Helms zieht. Nach ein paar Spaßkilometern an der geschützten Südflanke des Mont Aigoual entlang taucht zwischen den Bäumen der Gipfel des 1 567 Meter hohen Bergs auf. Noch eine Kurve - und ein eiskalter Wind fegt uns ins Gesicht. Der Mont Blanc, er liegt im Dunst. Aber Mittelmeer und Pyrenäengipfel sind im gleißenden Licht der Morgensonne zu sehen. Man könnte stundenlang bleiben, wenn nicht der Wind so kalt wäre.

"Wie wäre es mit etwas Warmem?", fragt Mitfahrer Jochen und erntet keinen Widerspruch. Mit jedem Meter, den es auf den Gebirgsstraßen bergab geht, steigt die Temperatur. Im Straßencafé von Le Vigan sitzen wir schließlich im Shirt am Marktplatz. In einem Gemüseladen um die Ecke werden süße Zwiebeln angeboten, eine Spezialität aus den Cevennen. Und natürlich frisch geerntete Maronen und Maronenmus.

Welch ein Kontrast! Waren wir von Le Vigan durch den Bergwald auf einer prächtigen Kurvenstrecke bis Montdardier gefahren, so cruisen wir nun über plattes Land. Trockensteinmauern, verdorrte Gräser, ein paar krumme Bäume. Lange Geraden. Und dann das: Fast übersieht man die enge Rechtskurve, hinter der es unvermittelt 300 Meter steil nach unten geht. Tief hat sich der Fluss Vis in das harte Kalkgestein gefräst. Unter uns bescheint die Sonne das Örtchen Le Baume-Auriol, das mitten im Cirque de Navacelles liegt. Die Häuser stehen auf dem Grund des ehemaligen Flussbetts. Doch mittlerweile hat sich das Wasser einen anderen Weg gesucht und einen Trichter hinterlassen, der diesem Naturphänomen seinen Namen gab.

War dieser Anblick schon schier atemberaubend, so setzt das Sträßlein hinunter in den Talgrund noch eins drauf. Es windet sich am Steilhang wie eine Schlange, lässt erst an einer Geradeaus-Passage Zeit zum Schauen, um dann mit einem Grande finale, der Durchquerung eines meist trockenen Bachlaufs, zu den grünen Wiesen des Ortes zu kommen. Gekrönt wird das alles von einem Wasserfall, der die Vis gehörig aufmischt. So spannend wie die Abfahrt ist auch die Fahrt in etlichen Kehren zurück auf das Plateau. Ein letzter Blick zurück, dann nehmen wir Kurs auf Anduze, wo Zimmer und Essen warten.

Tomaten, Paprika, Kastanien, Feigen: Es ist Markt in Anduze, und die Gassen sind schon früh belebt. Als "Pforte in die Cevennen" gilt die zwischen Felswänden an einem Fluss liegende Stadt. Zwischen den alten Gemäuern wurde vor Jahrhunderten mit Seide und Wolle gehandelt, für den Protestantismus kämpfende Soldaten waren hier stationiert. Etliche Kilometer auf schmalen, bisweilen holperigen Landstraßen später stehen wir auf dem Gipfel des Guidon du Bouquet, quasi eines Vorpostens der Cevennen im Rhone-Tal. "An klaren Tagen kann man hier bis zum Mont Ventoux blicken", sagt ein Wanderer, der gerade aus der kleinen Kapelle am Gipfel hervortritt.

Zu Füßen des Berges breitet sich aus, was in flüssiger Form Monate oder Jahre nach der Lese in Weinhandlungen und Supermärkten als "Côtes du Rhône" angeboten wird. Ria und Remy Klein setzen mit ihrem Weinberg im kleinen Ort Cadignac auf Handarbeit und biologischen Anbau. 38 Hektar Rebfläche haben sie, dazu 350 Olivenbäume.

Im nächsten Dorf kaufe ich mir ein paar Oliven, ein Baguette und etwas Wurst, packe die Picknick-Zutaten in die Seitentasche und fahre ein paar Meter flussabwärts. Dort hat sich die Cèze in das Kalkgestein gegraben, hat einzigartige Felsformationen geschaffen, mit den Cascades de Sautadet sich selbst ein imposantes Denkmal gesetzt. Es ist bereits dunkel, als der Motor vor dem Hotel Magnanerie de Bernas zur Ruhe kommt.