Khartoum im Sudan Khartoum im Sudan: Picknick am Stausee

Halle (Saale)/MZ - Der Boden unter unseren Füßen ist trocken, hart und rissig. Von den Wassermassen und dem Schlamm der Regenzeit ist nur ein graues Mosaik von aufgeplatztem Lehm geblieben.
Wir sind in Ghabat al-Sunut, einem „Wald“ im Überschwemmungsgebiet zwischen Blauem und Weißem Nil, die sich ganz in der Nähe vereinigen. Eine Schafherde taucht aus dem Nichts auf und eilt blökend vorbei. Wie Raumschiffe aus fremden Welten ragen am Horizont funkelnde Wolkenkratzer in den diesigen Wüstenhimmel. Es ist Al-Mogran, die neue Super-City im Herzen der Sechs-Millionen-Metropole Khartoum.
„Dort werden einmal viele Tausend Menschen leben und arbeiten“, sagt Hameed Elmissawi. Der junge Innenarchitekt hofft, unter ihnen zu sein. Wichtiger als der eigene Job ist ihm jedoch die Chance für sein Land: „Der Sudan braucht ausländische Investoren. Je moderner und attraktiver unsere Hauptstadt wird, um so mehr werden kommen“, glaubt der 32-Jährige.
Die „Nile Street“, die das neue Städtebauprojekt von den zwei Nilen trennt, ist schon jetzt eine beliebte Flaniermeile. Gesäumt von historischen Bauten wie dem Präsidentenpalast oder dem Grand-Hotel, in dem schon Queen Victoria und Winston Churchill nächtigten, bietet die Promenade beste Aussichten auf Flüsse, Brücken und die grüne Insel Tuti.
6852 Kilometer langer Weg bis zur Mündung
Neben einer Baustelle am Ufer beobachte ich, wie die hell- und dunkelgrauen Wassermassen der beiden Ströme in majestätischer Ruhe ineinanderfließen: Von Osten, aus dem äthiopischen Hochland kommend, trifft der wasserreiche Blaue Nil auf seinen „großen Bruder“ aus dem Süden. Der entspringt in Ruanda und Tansania aus Quellflüssen des Victoriasees. Sein 6 852 Kilometer langer Weg bis zur Mündung macht ihn zum längsten Strom der Erde.
Jenseits des Zusammenflusses liegt Omdurman, zweitgrößte Stadt und - als Sitz der Islamischen Universität und zahlloser Moscheen - religiöses Zentrum des Sudans. Auch diverse Sufi-Bruderschaften, sogenannte Tariqas, sind hier zu Hause. Jeden Freitag treffen sie sich vor dem Grabmal von Scheich Hamed al-Nil zu rituellen Feiern. Der Geistliche lebte im 19. Jahrhundert und war Führer eines uralten mystischen Sufi-Ordens.
Immer lauter wird getrommelt, gesungen und getanzt. Zusammen mit anderen Zuschauern stehen wir in einem großen Kreis ringsum und werden mit freundlichen Gesten zum Mitmachen animiert. Die temperamentvolle, rhythmische Musik und die ausgelassene, fröhliche Stimmung lässt keinen kalt. Am Ende tanzen alle und haben jede Menge Spaß.
„Wir fahren am Nationalfeiertag zu einem Picknick am Nil. Freunde haben ein Auto besorgt. Kommst Du mit?“, hatte Hameed gefragt. Als ich begeistert zusagte, dachte ich an etwas Gemütliches.
Das Auto, das uns abholt, ist ein Bus. Etwa 40 Leute sitzen drin - auf engstem Raum und gut gelaunt. Aus Omdurman hinaus geht die Fahrt, vorbei an kargen Sandlandschaften, dünn besiedelt, kaum bewachsen. Irgendwann wird der Verkehr wieder dichter und kommt schließlich ins Stocken. Erst jetzt sehe ich, dass wir hinter unendlich vielen anderen Fahrzeugen und auf einem befestigten Damm stehen. Die Wasserfläche rechts verschwimmt im Dunst. Es ist der Weiße Nil, der hier, 45 Kilometer südlich von Khartoum, gestaut wird.
Grillfleisch slebend transportiert
Jebel-Aulia-Damm heißt das von den Briten errichtete, bis zu 22 Meter hohe Bauwerk. Mit fünf Kilometer Länge war es in den 1930ern der längste Staudamm der Welt. Heute ist der Stausee das zweitgrößte Wasserreservoir im Sudan, und man gewinnt Strom damit.
Der Bus kommt nicht voran. Für mich könnte ein Stau nicht spannender sein. Alles, was sich irgendwie vorbeidrängeln kann, tut es: kleine Autos, Mopeds und Tuk Tuks, abenteuerlich und einfallsreich beladen mit Menschen, Tieren, Dingen. Auffallend viele Schafe sind dabei. Denn bei Temperaturen von über 30 Grad wird das Grillfleisch statt in der Kühltasche lebend transportiert – und, wie ich gleich sehen werde, auch an Ort und Stelle vor- und zubereitet.
Der lichte Wald am Stausee wimmelt vor Menschen. Da werden Decken ausgebreitet und mit Speisen und Getränken vollgestellt. Während die einen schon essen, sind die anderen noch damit beschäftigt, die mitgebrachten Tiere ins Jenseits und dann auf den Grill zu befördern. Viele haben Instrumente zum Musizieren, andere einen Dieselgenerator, um Stereoanlage, PC und Bildschirm zu betreiben.
Als die Straße auf dem Damm endgültig verstopft ist, wird sie spontan zum Parkplatz umfunktioniert. Alle steigen aus und gehen zu Fuß weiter. Wie man später die Fahrzeuge gewendet bekommt, wird sich zeigen. Jetzt sind erst mal Spaß und Picknick angesagt. In einer „gemütlichen Runde“ mit zigtausend anderen. Ich genieße es und freu mich auf die Pyramiden. Mehr als in Ägypten gibt es davon im Sudan. Aber das ist eine andere Geschichte ...