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Baby vergessen Baby vergessen: Unglaubliche Geschichten vom Last-Minute-Schalter

11.06.2015, 11:14
Vergessenes Baby: Maryam Komeyli hat in ihrem Berufsleben schon unglaubliche Dinge erlebt.
Vergessenes Baby: Maryam Komeyli hat in ihrem Berufsleben schon unglaubliche Dinge erlebt. Sven Heineke/ Edel Books Lizenz

Lustig, rührend, verrückt: Maryam Komeyli, Jahrgang 1962, betreibt seit 25 Jahren einen Last-Minute-Schalter am Hamburger Flughafen. Was sie in dieser Zeit an schier unglaublichen Geschichten erlebt hat, verrät sie nun in einem Buch.

Sie betreiben einen Last-Minute-Schalter am Flughafen. Was gefällt Ihnen an dem Job?

Komeyli: Mir gefällt es, so viele unterschiedliche Menschen kennenzulernen. Man muss in den Gesichtern der Kunden lesen können, um zusätzlich zu dem, was sie sagen, sehen zu können, was sie eigentlich wollen. Super ist natürlich, wenn Sie nach einer guten Beratung ein paar Wochen später wieder zum Schalter kommen und sich für einen Traumurlaub bedanken.

Gibt es Situationen, die Sie richtig nerven?

Mich kann so schnell nichts nerven. Wenn ich mich festlegen müsste, wären das hier meine Top Drei: Platz 3: Kunden, die über Weihnachten und Silvester weg wollen und mit der Frage: „Wieso ist denn das so teuer?“ vergessen, dass sie weltweit nicht allein sind mit dem Wunsch, zu diesem Zeitpunkt zu verreisen und ganz überrascht feststellen müssen, dass Weihnachten in diesem Jahr ausgerechnet auf den 24. Dezember fällt.

Platz 2: Vierzehn Jahre nach Euro-Einführung die Frage gestellt zu bekommen: „Womit bezahle ich denn eigentlich in Spanien?“ Platz 1: Häufig reihen sich Menschen in die Schlange am Schalter ein, warten bis alle Beratungsgespräche vor ihnen zu Ende gegangen sind, und fragen dann: „Wo geht es hier zu den Toiletten?“. Andererseits hätte ich auch nicht so viel zu lachen, wenn mir im Laufe meines Berufslebens nicht schon so viele absurde Dinge passiert wären.

Welches Erlebnis war so verrückt, dass Sie es nie vergessen werden?

Ich hatte einer Familie mit einem fünfjährigen Jungen und einem Baby eine Reise nach Kreta gebucht, bei der der Flug schon zwei Stunden später losgehen sollte. Die Familie musste aber noch ihr Gepäck von zu Hause holen, sie wohnte zum Glück in Flughafen-Nähe. Als die Eltern buchten, schlief das Baby tief und fest im Maxi-Cosi. Also bot ich ihnen an, das Baby einfach kurz bei mir im Backoffice zu lassen. Gesagt, getan. Sie fuhren nach Hause, packten alles hektisch zusammen, kamen zum Airport zurück und stürmten an meinem Schalter vorbei zum Einchecken.

Als das Baby aufwachte, war die restliche Familie schon über den Wolken. Ich weiß nicht mehr, wer mehr geschrien hat, das Baby oder ich. Schließlich wurde die Familie im Flieger vom Piloten ins Cockpit gerufen. Das ging damals noch problemlos. Auf die Frage, ob ihnen der Flug gefalle, antworteten sie nur „Oh ja, alles bestens“. Erst als der Pilot fragte, ob auch alle dabei seien, fiel der Mutter ein, dass ihr Baby fehlte – und flippte völlig aus. Der Vater gab dem Piloten die Telefonnummer der Oma, die das Kleine wenig später bei mir abholte.

Dann buchte ich für die Mutter zwei neue Flugtickets, nach Hamburg und noch einmal nach Kreta. Am nächsten Tag ging es dann noch einmal in den Urlaub – diesmal mit Baby. Im Nachhinein frage ich mich natürlich, wieso ich die Eltern nicht aufgehalten habe. Eine Mischung aus dem üblichen Wahnsinn am Schalter und der Tatsache, dass das Baby leise und fest schlief. Ich hatte es schlicht völlig vergessen. Und die Familie war unter unfassbarem Zeitdruck und das Baby war noch so klein, dass die Eltern es wohl noch nicht wirklich in ihrer Lebenswirklichkeit abgespeichert hatten.

Nächste Seite: Welcher Kunde, Maryam Komeyli zur Weißglut trieb – und das romantischste Erlebnis am Schalter.

Gibt es Kunden, die Sie schon einmal richtig zur Weißglut getrieben haben?

Mich zur Weißglut treiben – das schafft so schnell keiner. Ich bin Dienstleister und verehre meine Kunden im Allgemeinen, weil sie ja mein Geschäft bedeuten. Aber ich werde eine Sache nicht vergessen, da schien es, als hätte ich einen Kunden zur Weißglut getrieben: Viele Kunden hören im Gespräch etwas am Schalter, das sie vor Ort so nicht vorfinden. Einen Süßwasserpool, der nicht nach Brause schmeckt, zum Beispiel. Oder sie wundern sich, dass sie das Steakhouse am Strand nicht gefunden haben, weil ich gesagt hatte, es gäbe einen Steg am Strand.

Wirklich irre war allerdings ein Mann, der nach der Rückkehr von einer Griechenland-Reise wutentbrannt direkt vom Gepäckband zu mir an den Schalter stürmte und mich mit hochrotem Kopf anschrie, dass es bei ihm im Hotel die versprochene Bibliothek mit alkoholischer Bewirtung nicht gegeben hätte. Schließlich hätte im Katalog gestanden: Buchbar von April bis September.

Und auf der anderen Seite: Welches Erlebnis hat Sie am meisten berührt?

Bis heute berührt mich eine Geschichte, deren Folgen ich heute, 20 Jahre später immer mal wieder vor Augen geführt bekomme. Ein Mann und eine Frau, die sich vollkommen fremd waren, standen bei mir nacheinander am Schalter und wollten beide etwas ganz Exotisches buchen, doch beide hatten im Grunde kein Geld dafür. Aber wie das manchmal so ist: Ich hatte ein unglaubliches Schnäppchen gefunden. Sri Lanka, und ein tolles Hotel. Einzelzimmer gab es aber nur für einen Aufpreis, den beide nicht bezahlen konnten.

Nachdem ich die jungen Leute etwas über ihr Privatleben ausgefragt hatte und daher wusste, dass sie Singles sind, schien es mir naheliegend, den beiden diese Traumreise zu ermöglichen, indem ich ihnen ein Doppelzimmer anbot. Sie zogen sich beide kurz zu einer kleinen Beratung zurück, kamen zu meinem Schalter und buchten.

Manchmal frage ich mich, wieso Til Schweiger noch nicht angerufen hat, um die Geschichte zu verfilmen: Im Doppelzimmer kamen sich die beiden näher und nach der Reise folgte die Hochzeit, nach der Hochzeit folgte ein Kind. Das Mädchen ist heute eine junge Dame. Sie hat den wunderschönen Namen Maryam bekommen und ich sehe sie manchmal, wenn sie bei mir eine Reise bucht.

(kkl)

Informationen zum Buch

Maryam Komeyli, Andreas Heineke, Christian Löwendorf: „Sie haben Ihr Baby am Airport vergessen. Mein verrücktes Leben am Last-Minute-Schalter“, erschienen im Verlag Edel Books, 223 Seiten, 9,95 Euro.

Reise-Verkäuferin Maryam Komeyli an ihrem Last-Minute-Schalter.
Reise-Verkäuferin Maryam Komeyli an ihrem Last-Minute-Schalter.
Sven Heineke/ Edel Books Lizenz