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Psychologie Psychologie: Freizeitstress am Wochenende ist mehr Frust

Von Melanie Brandl 06.05.2003, 13:14

Hamburg/dpa. - Es ist ein Phänomen: Fünf Tage in der Woche wird sich zwischen vollen Terminkalendern, Überstunden, dauerklingelndem Telefon oder Kindergeschrei und Bügelwäsche nur nach einem gesehnt - dem ruhigen, entspannenden Wochenende. Doch kaum hat der Freitagnachmittag begonnen, geht der Stress erst richtig los: Die einen sind bereits jetzt mit Erledigungen, Verabredungen und Terminen bis Sonntagabend verplant, die anderen leiden unter dem Gefühl, so viel freie Zeit irgendwie sinnvoll nutzen zu müssen. So oder so, statt Entspannung herrscht Druck, und am Montag sind die Augenringe oft noch dunkler als vorher.

«Das Hauptproblem liegt in der viel zu hohen Erwartungshaltung», erklärt Tania Konnerth aus Hamburg, Autorin des Buchs «Montag ist erst übermorgen: Wohlfühltipps fürs Wochenende». «Die Leute wollen in zwei Tagen nachholen, was sie in fünf Tagen vorher verpasst haben, und packen viel zu viel hinein. Aber wer unter der Woche nicht wirklich lebt, nur Kompromisse schließt, kann unmöglich am Wochenende all das Versäumte aufarbeiten.»

«Freizeit hat sich irgendwie pervertiert. Wenn man sie definiert als autonome Zeit, über die ich selbst verfügen kann, dann ist von dieser Zeit bei vielen am Arbeitsplatz mehr vorhanden als am Wochenende», geht Hansruedi Müller, Professor am Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus der Universität Bern, sogar noch einen Schritt weiter. In unserer Erlebnisgesellschaft stehe man regelrecht unter dem Druck, am Montag etwas erzählen zu können. Dazu kämen selbst auferlegte wirtschaftliche Zwänge, sagt Müller: «Ich investiere persönlich in meine Freizeit, kaufe teure Skiausrüstungen oder ähnliches. Diese Dinge wollen dann auch genutzt sein.»

Zudem löse das Überangebot an Unterhaltungsmöglichkeiten häufig das Gefühl aus, trotz aller Aktivität etwas zu verpassen, bestätigt Ilse-Mara Berzins von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, Lektorin des Ratgebers «Zeitmanagement im Alltag». Die Menschen sollten lernen, bewusster mit ihrer Zeit umzugehen und sich von dem Glauben befreien, alles mitmachen zu müssen. «Wenn ich fünf Euro im Portemonnaie habe, weiß ich automatisch, davon kann ich mir weder einen Schrank noch Klamotten kaufen, es kann einfach nicht reichen. Diese Erkenntnis auf die Zeit zu übertragen, könnte schon helfen.»

Der erste Schritt, aus dem Wochenendstress auszubrechen, sei herauszufinden, was einem persönlich gut tue, so Konnerth. Deshalb gäbe es keine Pauschalrezepte, wie etwa die Glotze auf den Speicher zu verbannen oder das Telefon stets ausgesteckt zu lassen. Jeder müsse für sich lernen, Prioritäten zu setzen und somit auch bewusst auf manches zu verzichten. «Und wenn ich ein Typ bin, der dazu neigt, alles zu verplanen, dann muss ich eben auch freie Zeit systematisch mit einplanen», rät die Expertin.

Denn gerade dieses scheinbare «Nichtstun» sei elementar für uns, erläutert der Psychologe Gerhard Anwander aus München:«Viele Menschen packt dann die innere Unruhe, weil sie meinen, die wenigen freien Momente, die sie haben, müssten mit Unternehmungen ausgefüllt werden. Aber das Hirn braucht manchmal die Chance, etwas zu verarbeiten, auch wenn da vielleicht unangenehme Dinge in uns hochkommen.» Das sei wie beim Computer, so Anwander, der müsse die Festplatte auch regelmäßig defragmentieren, um die Daten zu ordnen und das System am Laufen zu halten.

Doch Faulheit oder gar Langeweile zuzulassen ist in unserer schnelllebigen Gesellschaft nicht wirklich angesagt. Und so erfordert das von Tania Konnerth angepriesene Erholungsprogramm auch ein bisschen Mut, sich gegen Konventionen und Gewohnheiten aufzulehnen und die so genannten «Wohlfühlkiller» bewusst zu streichen. Da muss der sonntägliche Pflichtbesuch bei der alten Tante dann vielleicht einmal abgesagt werden, und auch die Joggingrunde im Park ist nur sinnvoll, wenn sie aus dem eigenen Bedürfnis und nicht aus einem schlechten Gewissen heraus gedreht wird.

Natürlich gibt es besonders als Familie mit Kindern trotzdem Pflichten, denen man am Wochenende nicht entkommt. Doch da hilft oft schon eine veränderte Einstellung. «Warum aus dem Samstagseinkauf nicht mal einen Familien-Event werden lassen?» schlägt Ilse-Mara Berzins vor. Ein Bummel über den Wochenmarkt, bei dem sich alle zusammen die dicksten Pfirsiche aussuchen, könne durchaus Spaß bringen. «Wenn man sich dabei Zeit lässt und es gemeinsam macht, verwandelt sich das nervige Einkaufen plötzlich vom Frust- zum Lusterlebnis.»

Im Grunde genommen sei es ganz einfach, dem Freizeitstress zu entkommen, fasst Tania Konnerth zusammen: «Das Wochenende ist buchstäblich freie Zeit, die ich gestalten kann, wie ich will. Und wenn ich weiß, was ich brauche, um mich wohl zu fühlen, dann kann ich mir das auch nehmen. Um mehr geht es nicht.»

Literatur: Tania Konnerth, Montag ist erst übermorgen: Wohlfühltipps fürs Wochenende, Herder 2001, ISBN 3-4510-5107-9, 8,90 Euro; Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen: Zeitmanagement im Alltag, 5,80 Euro, Bestellnummer HH01 im Internet unter http://www.vz-nrw.de.