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Job Kind Haushalt Job Kind Haushalt: So funktioniert die totale Gleichberechtigung

Von Isabell Wohlfarth 13.03.2015, 13:01
Tobias Scholz, Stefanie Lohaus und ihr Sohn Johann.
Tobias Scholz, Stefanie Lohaus und ihr Sohn Johann. Urban Zintel Lizenz

Gleichberechtigung ist bei jungen Paaren angesagt. Bis das erste Kind geboren wird. Dann nämlich fällt die schöne Balance kläglich in sich zusammen, das „alte“ Familienmodell stellt sich wieder ein: Mama bleibt bei den Kids und macht den Haushalt, Papa ist der Hauptverdiener. Wunsch und Wirklichkeit klatschen harsch aufeinander.

Leben nach dem 50/50-Prinzip

Natürlich gibt es auch andere Beispiele, im Alltag muss man aber nach ihnen häufig erst eine Weile suchen. Stefanie Lohaus und Tobias Scholz sind so ein Paar, das es anders macht. Sie sagen: „Wir wollen beide beides. Kind und Beruf für jeden von uns.“ In ihrem Buch „Papa kann auch stillen“ (Goldmann Verlag, 2015) erzählen sie aus ihrem Alltag mit kleinem Kind, zwei Jobs und ausgewogener Arbeitsteilung. Sie nennen es das „50/50-Prinzip“.

„Mit Kind allein zu Hause fällt jedem manchmal die Decke auf den Kopf – egal ob auf Mamas oder auf Papas.“ Persönlich und mit Humor erzählen Stefanie und Tobias in jeweils eigenen kleinen Kapiteln von ihren Erfahrungen – und das bis ins konkrete Gespräch hinein. Der Leser kann sich ähnliche Situationen mit dem eigenen Partner sehr gut ausmalen. Beginnend bei DEM Dialog schlechthin, als sich die beiden, noch in der Schwangerschaft, die Frage stellen: Wie GENAU wollen wir das eigentlich mit Baby und Job machen?

Alles wird ausgehandelt – immer wieder

„Das vorläufige Ergebnis unseres Gesprächs:“, resümiert Tobias „Der Job des einen ist nicht wichtiger als der des anderen. Stefanie gibt ihr gesellschaftliches Privileg als Hauptelternteil auf und ich meine Rolle als Haupternährer. Unser Ziel ist es, alle Lebensbereiche gerecht aufzuteilen.“ Soweit so perfekt, doch dabei bleibt es natürlich nicht. Denn, und das macht das Buch sympathisch und authentisch, in den Erzählungen kommen Zweifel und Unsicherheiten ebenso zur Sprache. Es wird klar, dass Lösungen nicht einfach herumliegen, sondern tatsächlich zäh ausgehandelt werden müssen. „Ich hoffe,“ gibt Tobias am Ende des Kapitels zu, „dass wir mit diesem Fahrplan nicht nur einer netten, aber völlig unumsetzbaren Idee hinterherlaufen.“

Du machst das ganz falsch, Schatz!

Schon in den ersten Wochen mit Baby zeigt sich, dass Gleichberechtigung in der müden Realität auch zu schrägem Verhalten und Rivalität führen kann. Auch im gar nicht „klassischen“ Sinne, wie Tobias berichtet: „Als Stefanie sich nach zehn Tagen Wochenbett wieder normal durch die Wohnung bewegen konnte. Da hatte ich den Bereich längst komplett besetzt. Ich bin der Experte fürs Wickeln, ich hab die Klamotten geordnet und weiß, wie man das Baby am besten trägt, wenn es Bauchweh hat. Als ich einmal sehe, wie Stefanie die Windel etwas zu eng verschließt und der Kleine quäkt, eile ich hinzu und will den Fall übernehmen wie das FBI einen Tatort von der Polizei.“

Ein schönes Beispiel für die kleinen Streits, die aufkommen, wenn eben beide zuständig sind. Da wird auch mal gemäkelt und kritisiert, bis hinein in die Art und Weise, wie denn nun das Klo richtig gesäubert wird. „Natürlich erleben auch wir Probleme und Reibungen. Aber eben keine Unmöglichkeit, nichts, was sich nicht aus der Welt schaffen ließe.“

„Sind Männer auf Augenhöhe überhaupt noch sexy?“ Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Bin ich ein „neuer Mann“?

Sowieso klappt auch nicht immer alles. Da muss Papa einmal quer durch die Stadt gondeln, um das Kind zur stillenden Mama zu bringen, weil das mal wieder die Flasche verweigert. Auch hadern beide immer mal wieder mit ihrem Arrangement. „Wieso sitze ich acht Monate hier zu Hause mit dem Baby? Das ist doch furchtbar zäh und langweilig!“ schreibt Tobias einmal. „Lohnt sich der logistische Aufwand, nur weil ich wieder arbeiten will?“ fragt sich Stefanie.

Überhaupt ist das Buch voller spannender Fragen, die den beiden im Alltag begegnen. Sind alle Mütter Glucken? Bin ich jetzt so ein „neuer Mann“? Sind Männer auf Augenhöhe noch sexy? Um Antworten zu finden, suchen die Autoren immer auch den größeren Zusammenhang. Sie wechseln zwischen Anekdoten und Gesellschaftsanalyse hin- und her, zitieren aktuelle Studien rund um Evolution, Bindungsforschung, Soziologie und sprechen mit vielen anderen Paaren. Am Ende wird es aber immer wieder persönlich: „Dass Tobias echtes Gluckenpotenzial hat, ist mir jetzt klar.“

Kein Eltern-Ratgeber!

Ein Erfahrungsbericht und kein Ratgeber, genau so wollen die Autoren es auch verstanden wissen. Sie möchten nicht mit erhobenem Zeigefinger vorangehen oder als ideales Lebensmodell gelten. Einige gute Ideen und Tipps kann der Leser trotzdem mitnehmen. Etwa, dass werdende Eltern schon vor der Geburt ausführlich diskutieren sollten, wie sie Kind und Karriere vereinbaren wollen. Welche Bedürfnisse und Erwartungen hat der Einzelne? Und welche Möglichkeiten gibt es überhaupt?

Denn klar ist, dass Rahmenbedingungen wie Kinderbetreuung, Arbeitsbedingungen und finanzielle Situation eine große Rolle spielen. Auch da schauen die Autoren über den Tellerrand hinaus und zeigen, wie es andere Familien machen, stellen mögliche Modelle vor. Und ordnen auch hier wieder ihre eigenen Erfahrungen ein. „Unser nicht so hohes Einkommen hat uns im Grunde davor bewahrt, in ein traditionelles Rollenkonzept mit Alleinverdiener zu rutschen. Wir glauben nämlich daran, dass wir langfristig finanziell davon profitieren werden, wenn wir beide eine Art ‚mittlerer‘ Karriere anstreben, die eine flexible Vollzeitarbeit ermöglicht.“

Ein kluges Buch über gelebte Gleichberechtigung

In diesem kurzweiligen, klugen Buch werden sich neue Eltern in vielen Punkten wiederfinden. Es macht doch Mut, am konkreten Beispiel zu lesen, wie es funktionieren kann. Und doch zu sehen, dass es nicht immer einfach oder perfekt ist. Echte Gleichberechtigung heißt eben: immer wieder aushandeln, organisieren und Kompromisse machen. Aber, und das liest man auch heraus: dass es sich lohnt - für Mama und Papa, das Paar und vor allem das Kind.

Buchtipp:

Stefanie Lohaus/Tobias Scholz: Papa kann auch stillen. Wie Paare Kind, Job und Abwasch unter einen Hut bekommen, Goldmann Verlag, München, 2015

Dass auch Mama Vollzeit zur Arbeit geht, ist immer noch selten.
Dass auch Mama Vollzeit zur Arbeit geht, ist immer noch selten.
imago/Westend61 Lizenz