Christa Wachsmuth: Leben für die Organspende Organspende Mitteldeutschland: Christa Wachsmuth geht in den Ruhestand

Halle (Saale) - Am Ende ihres Berufslebens erlebt Dr. Christa Wachsmuth noch eine herbe Enttäuschung: Dass sich der Bundestag Mitte Januar gegen die Widerspruchslösung bei der Organspende entscheidet, stimmt die Geschäftsführende Ärztin der Region Ost der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) sehr traurig. Sie denkt an die Menschen, die mitunter viele Jahre lang auf ein Spenderorgan warten - manche vergeblich.
Etwa 10.000 sind es in ganz Deutschland. Für Christa Wachsmuth keine anonymen Schicksale. Viele Betroffene in der DSO-Region-Ost - sie umfasst Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen - hat die Ärztin durch ihre Arbeit persönlich kennengelernt. Sie sei immer hoffnungsvoll gewesen, dass Deutschland sich besinnt. Zumal ja auch bei der Widerspruchslösung jeder die Möglichkeit habe, Nein zu sagen. „So ein hochkultiviertes Land. Und dann liegen wir bei der Organspende europaweit fast am Ende“, sagt sie und seufzt.
Es habe die Chance bestanden, daran etwas zu ändern. Um gleich hinzuzufügen: „Es hilft nicht, dieser Entscheidung hinterher zu jammern. Wir müssen nach vorn blicken und schauen, was wir noch alles bewegen können.“
Heinz Rockstroh beeindruckt Christa Wachsmuth
Etwas bewegen, um die Organspende voranzubringen - das ist von Anfang an Christa Wachsmuths Leitmotiv. „Und wenn ich so zurückblicke, was wir in den vergangenen Jahren geschafft haben, dann ist das eine ganze Menge“, sagt die 66-Jährige, die seit dem 1. April im Ruhestand ist.
Beruflich kommt sie erstmals 1979 mit dem Thema in Berührung. Nach ihrem Studium wird sie Assistenzärztin an der halleschen Universitätsklinik für Urologie. Zu diesem Zeitpunkt leitet Professor Heinz Rockstroh die Klinik. Er hat hier 1966 die erste Nierentransplantation der DDR durchgeführt und damit den Grundstein für das 1974 gegründete Nierentransplantationszentrum gelegt.
In den letzten Jahren der DDR werden in Halle jährlich zwischen 70 und 80 Nieren verpflanzt. Christa Wachsmuth liegt der Umgang mit den Transplantierten. Der sei aber oft nicht einfach gewesen. Sie erzählt von traurigen Momenten, wenn Operationen nicht den gewünschten Erfolg bringen. Aber auch von glücklichen Patienten, die nach erfolgreicher Transplantation regelrecht aufblühen.
Neue Regeln bei Transplantationen als in DDR
Christa Wachsmuth, inzwischen Fachärztin für Urologie, liebt die Arbeit auf dieser Station. Ihr Weg ist vorgezeichnet - bis die Wende alles durcheinander wirbelt. Die Frage ist - bleiben oder gehen? Viele ihrer Kollegen lassen sich als Fachärzte nieder. Soll sie ihrem Beispiel folgen?
Mein Mann hatte mir bereits Räume für eine Praxis besorgt“, erzählt sie. „Aber ich hatte nicht den Mut, ich war das Team gewöhnt und die Arbeit in der Klinik hat mir Spaß gemacht.“ Zumal sich das Aufgabengebiet erweitert. Anders als in der DDR werden nun auch die Patienten, die auf eine Transplantation warten, in der Klinik betreut.
„In den Sprechstunden habe ich ihre Ängste gesehen. Aber auch ihre Hoffnungen. Es gab viele Gespräche. Jedes dieser Gespräche ist unterschiedlich verlaufen. Aber immer stand der Wunsch, mit einer guten Qualität weiterzuleben, im Mittelpunkt.“ Das habe sie beeindruckt. Als 1992 in Ostdeutschland neue Strukturen für die Organspende geschaffen werden, entschließt sich Christa Wachsmuth, die Uni doch zu verlassen. Sie wird Koordinatorin für Sachsen-Anhalt.
Deutschlandweit hoffen fast 10.000 Menschen auf eine lebensrettende Organspende. In Sachsen-Anhalt sind es etwa 360 Betroffene. Etwa 290 Patientinnen und Patienten warten auf eine Niere, 35 auf ein Herz, 30 auf eine Leber und fünf auf eine Lunge.
Im vergangenen Jahr gab es in Sachsen-Anhalt 32 Menschen, die nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe schwerkranken Patienten überlassen haben. Mit einer Rate von 14,9 Spendern pro eine Million Einwohner liegt die Region Ost der Deutschen Stiftung Organtransplantation, zu der Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen gehören, deutlich über dem bundesweiten Wert von 11,2 und ist in Deutschland die Region mit der höchsten Spendenbereitschaft.
Ihr Arbeitgeber ist zunächst das Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation (KfH), welches 1984 die DSO gründet. Die wiederum nabelt sich später vom KfH ab und übernimmt im Jahr 2000 bundesweit die Koordinierung der Organspende. Deutschland wird in sieben Regionen aufgeteilt, die von Geschäftsführenden Ärzten geleitet werden.
Christa Wachsmuth übernimmt die Region Ost - und stellt einiges auf die Beine. Sie erzählt beispielsweise von der Schulinitiative, die auf ihr Betreiben gemeinsam mit den Kultusministerien gestartet wird. Die Idee: Schüler ab der zehnten Klasse über die Organspende zu informieren, so dass sie selbst eine Entscheidung treffen können. Laut Gesetz dürfen sich Jugendliche ab 16 Jahren ohne Zustimmung der Eltern für oder gegen eine Organspende entscheiden. Bereits ab 14 können sie widersprechen. Das Kalkül: Die Schüler nehmen das Thema mit nach Hause in die Familien. Dort wird es diskutiert.
Für den Unterricht wurden in Sachsen-Anhalt mit Hilfe des Landesinstituts für Schulqualität und Lehrerbildung (Lisa) Fachmoderatoren für Biologie, Ethik und Religion ausgebildet. Dabei waren auch immer Transplantierte, die aus dem persönlichen Erleben heraus über die Organspende gesprochen haben. Ein wichtiges Anliegen war und ist Christa Wachsmuth die Zusammenarbeit mit den Angehörigen von Organspendern.
Angehörige nach Organspende nicht vergessen
Es sei schwierig gewesen, da etwas auf den Weg zu bringen, sagt sie. Angehörige seien im Gesetz nur an der Stelle vorgekommen, an der es darum ging, den Willen des potenziellen Spenders zu ermitteln. Das ist ihr zu wenig. Als eine der ersten organisiert die DSO-Region Ost regelmäßig Angehörigentreffen. „Mir war es wichtig, dass die Angehörigen nicht vergessen werden, dass sie in ihrem Schmerz ein offenes Ohr finden, dass ihre Entscheidung, durch die andere Menschen weiterleben konnten, gewürdigt wird“, sagt die Ärztin. Um professionell mit den Hinterbliebenen umzugehen, absolviert sie neben der Arbeit eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin.
Bei Christa Wachsmuth stößt auch der Wunsch Angehöriger von Organspendern auf offene Ohren, für die Familien einen besonderen Ort der Erinnerung zu schaffen. Gemeinsam mit Professor Paolo Fornara, dem Leiter des Nierentransplantationszentrums am Universitätsklinikum Halle, macht sie sich auf den Weg zur damaligen Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados.
Park des Dankens, des Hoffens und des Erinnerns in Halle
Sie bitten, dass die Stadt ein Grundstück zur Verfügung stellt. Was sie auch tut. Und so entsteht 2008 in Halle der Park des Dankens, des Hoffens und des Erinnerns. Es ist ein Platz zum Innehalten für Angehörige von Spendern, aber auch für Transplantierte und für Menschen auf der Warteliste. Der Park auf der Salinehalbinsel ist einmalig und inzwischen ein bundesweiter Gedenkort.
Gleichzeitig treibt Christa Wachsmuth wie viele andere die Frage um: Warum ist Deutschland bei der Organspende so schlecht? Liegt es nur daran, dass hier nicht die Widerspruchslösung gilt? Analysen, an denen sich Kliniken der DSO-Regionen Nordrhein-Westfalen und Ost beteiligen, legen nahe, dass potenzielle Spender gar nicht erkannt werden. Als Folge dieser Erkenntnis ist der sogenannte Transplantcheck heute bundesweit Pflicht. Vereinfacht gesagt heißt das: In allen Kliniken wird nun bei Patienten, die mit einer Hirnschädigung beatmet
auf Intensivstationen verstorben sind, gefragt: Warum ist er kein Organspender geworden? Gab es medizinische Gründe, die dagegen sprachen, gab es eine Ablehnung oder wurde einfach nicht daran gedacht? Zudem werden Ärzte nun gezielt geschult, worauf sie zu achten haben.
Christa Wachsmuth setzt sich gemeinsam mit Juristen dafür ein, dass bestimmte Formulierungen in Patientenverfügungen die Organspende nicht unmöglich machen. In der DSO-Region Ost gibt es Transplantationsbeauftragte in den Kliniken lange bevor ein Gesetz sie zur Pflicht macht. Die Liste ihrer Erfolge ist lang. Nicht zuletzt deshalb wird ihr Ende 2019 die Ehrennadel des Landes Sachsen-Anhalt verliehen.
Kein endgültiger Abschied
Doch die Ärztin betont, dass sie das alles allein nicht geschafft hätte. Die gute Zusammenarbeit mit den Sozialministerien der drei Länder, den Landesärztekammern, den Krankenhausgesellschaften, den Kliniken habe viele Impulse gegeben. Aber ihr Anteil daran, dass die DSO-Region Ost heute im bundesweiten Vergleich gut dasteht, ist groß.
Professor Paolo Fornara bescheinigt ihr „leidenschaftliches Engagement, intellektuelle Schärfe, Verhandlungsgeschick - gepaart mit Überzeugungskraft und einer bemerkenswerten Menschlichkeit“. Sie sei die richtige Person zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, sagt er. Gewesen?
Christa Wachsmuth wird nun zwar nicht mehr an verantwortlicher Stelle tätig sein. Aber „ein bisschen weitermachen“ will sie schon. Etwa in Vereinen oder Patientenverbänden. Paolo Fornara sagt, dass sie für die Organspende brenne. Dieses Feuer wird nicht so bald erlöschen. (mz)