Pioniere im weißen Kittel Mediziner aus Halle (Saale) hat erste Niere der DDR verpflanzt
Halle (Saale) - Traumhaft. So charakterisiert Karl-Ullrich Krex heute seinen Gesundheitszustand. Der 70-jährige Lieskauer (Saalekreis) hat im Sommer des vergangenen Jahres im Nieren-Transplantationszentrum der halleschen Universitätsklinik (NTZ) ein neues Organ erhalten.
Und noch dazu ein ganz besonderes. Es war die 2.000. Niere, die dort seit der Gründung des Zentrums 1974 verpflanzt wurde. Dieses Jubiläum wird am Sonnabend mit einem Festsymposium gewürdigt.
Medizinische Pionierarbeit in Halle (Saale)
An diesem Tag wird auch daran erinnert, dass die Anfänge auf diesem Feld in Halle noch ein paar Jahre weiter zurückliegen, ja dass an der Universitätsklinik sogar Pionierarbeit geleistet wurde.
Der Chirurg und Urologe Professor Heinz Rockstroh war es nämlich, der 1966 hier die erste Nierentransplantation der DDR durchgeführt hat. Es handelte sich um die Lebendspende einer Mutter für ihren Sohn.
Professor Heinz Rockstroh (1920 - 1987) hat 1966 die erste Nierentransplantation der DDR durchgeführt. In Westdeutschland gab es eine solche Operation bereits 1963. Operateure waren Wilhelm Brosig und Reinhard Nagel. Die weltweit erste Nierentransplantation fand 1954 in Boston (USA) durch den Chirurgen Joseph Murray statt.
Die Operation brachte dem jungen Mann jedoch keine Heilung. Er starb 14 Tage später. Die Niere hatte zwar ihre Arbeit aufgenommen. Doch sein Körper wehrte sich gegen das fremde Organ.
Was auf ein zur damaligen Zeit ungelöstes medizinisches Problem hinweist: die Abstoßungsreaktion. Ein Umstand, der Rockstroh veranlasste, nach einigen weiteren Transplantationen eine Pause einzulegen.
Abstoßung der Niere war das größe Problem
Eine solche Pause habe es zu dieser Zeit weltweit gegeben, sagt Professor Paolo Fornara, Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie und des NTZ sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie.
„Die Nierentransplantation war zu dieser Zeit chirurgisch kein Problem mehr“, fügt er hinzu. Die Organspendebereitschaft sei damals sogar größer gewesen als heute. Aber das Problem sei eben die Abstoßung gewesen.
Die zu jener Zeit dagegen eingesetzten Medikamente hätten wenig Wirkung gezeigt und zudem gravierende Nebenwirkungen hervorgerufen.
Nierentransplantation: Durchbruch erst in den 80er Jahren
Erst Anfang der 80er Jahre gab es auf diesem Gebiet den ganz großen Durchbruch. Forscher entdeckten in norwegischer Erde einen bis dahin unbekannten Pilz, aus dem ein wirksames Medikament gegen die Abstoßungsreaktion entwickelt wurde. Das Zyklosporin.
Es war allerdings nur im Westen erhältlich. Gegen Devisen. „Für besonders schwere Fälle stand es aber auch in der DDR zur Verfügung“, sagt Professor Hans Heynemann, der viele Jahre im NTZ gearbeitet hat und bis zu seinem Ruhestand 2012 dessen stellvertretender Direktor war.
Medikament musste erst genehmigt werden
„Dazu musste in Berlin ein spezieller Antrag gestellt werden, der in der Regel recht schnell bewilligt wurde.“
Bevor in der DDR jedoch überhaupt ans Transplantieren gedacht werden konnte, galt es ein funktionierendes Dialyse-Netz aufzubauen.
Das Thema Dialyse, also die Blutwäsche an der sogenannten künstlichen Niere, beschäftigte Rockstroh denn auch von Anfang an. Er war 1956 vom Kreiskrankenhaus Aue an die Uniklinik nach Halle gekommen und begann alsbald mit dem Aufbau eines Nierenzentrums.
Dort sollten Patienten, die an akutem Nierenversagen litten, mit der künstlichen Niere am Leben gehalten werden.
Allerdings war die DDR auch hier zunächst auf Westimporte angewiesen.
Dialyse-Geräte wurden entwickelt
Um unabhängig von Devisen zu werden, ging Rockstroh mit seinem Assistenz- und späteren Oberarzt Dr. Wolfgang Kaden, den er aus Aue mitgebracht hatte, dem halleschen Naturwissenschaftler Dr. Manfred Richter und anderen Ingenieuren daran, eigene Geräte zu entwickeln beziehungsweise weiterzuentwickeln.
Schon 1965 gab es die „Aue-Niere I“, 1967 dann die „Aue-Niere II“. Diese Geräte, deren Namen auf den Entstehungsort hinweisen, fanden in der DDR weite Verbreitung. „Und dennoch reichte die Kapazität anfangs nicht aus“, erinnert sich Heynemann.
Es mussten Grenzen gesetzt werden. Grenzen, die manchmal über Leben und Tod entschieden. „Ein 80-Jähriger kam damals in der Regel nicht mehr in das Dialyseprogramm“, fügt der Mediziner hinzu. Heute sei das selbstverständlich.
Neben der Blutwäsche war für Rockstroh das Thema Transplantation immer präsent. Darüber wurde auch zu Hause gesprochen, erinnert sich der älteste der drei Söhne des Mediziners, Gerd Rockstroh.
„Mein Vater und alle anderen, die in der Klinik daran beteiligt waren, sahen darin die einzige Möglichkeit, chronisch Nierenkranken zu helfen. Es war für sie eine faszinierende Möglichkeit, die es vorher nicht gegeben hatte.“
Erste Niere 1966 verpflanzt
Und als es dann geschehen war, als der Vater 1966 tatsächlich die erste Niere verpflanzt hatte, da seien die Kinder schon einigermaßen stolz gewesen.
So richtig Fahrt nahm die Transplantationsmedizin in Halle dann mit der Gründung des NTZ 1974 auf. Vom ersten Tag an dabei ist dort Schwester Gabriele Kaschinsky. Sie erinnert sich gut an ihren früheren Chef Rockstroh.
n der Art, wie er früh die Klinik betrat, sei seine Laune abzulesen gewesen, erzählt sie. Viel Wert habe er auf Pünktlichkeit bei der Visite gelegt. Und ein großes Herz für seine Patienten gehabt, die damals noch viele Wochen in der Klinik verbringen mussten. „Schon für den ersten Patienten hat er einen Fernseher besorgt“, erzählt sie.
Patienten aus dem Raum Dresden hätten mitunter gebettelt, noch bleiben zu dürfen, weil sie die nächste „Dallas“-Folge nicht verpassen wollten.
Insgesamt 100 Nieren-Transplantationen
Nach der ersten hat Rockstroh auch die 100. Transplantation durchgeführt, bevor er 1982 emeritiert wurde. Die DDR-Warteliste wurde übrigens zentral in Berlin am Krankenhaus Friedrichshain geführt.
„Spenderorgane waren schon damals knapp, aber nicht so knapp wie heute“, erinnert sich Professor Heynemann. Was auch daran lag, dass in der DDR die sogenannte Widerspruchslösung galt.
Das heißt, wer zu Lebzeiten für den Fall des Falles einer Organentnahme nicht widersprochen hatte, kam als Spender in Frage. „Wir haben in den letzten Jahren der DDR bei uns in Halle jährlich zwischen 70 und 80 Nieren transplantiert“, sagt Heynemann, der selbst bei der 1.000. und 1.500.
Organverpflanzung am OP-Tisch stand. Nach der Wende sei diese Zahl gesunken. Zum Vergleich: Heute verpflanzt das NTZ pro Jahr etwa 40 Nieren, davon zehn durch Lebendspenden.
Früher waren die Voraussetzungen komplexer
Auf der anderen Seite, so fügt Heynemann hinzu, sei in der Anfangszeit der Empfängerpool auch kleiner gewesen. Patienten jenseits der 55 hätten kaum Chancen gehabt, auf die Warteliste zu kommen. „Auch ansonsten mussten die Organempfänger - bis auf ihre Nierenerkrankung - relativ gesund sein“, betont er.
Schwer zu behandelnder Bluthochdruck oder Diabetes seien wegen des damit verbundenen hohen OP-Risikos Ausschlusskriterien gewesen. „Heute unvorstellbar“, fügt der Mediziner hinzu.
Westliche Staaten reagierten auf die Organknappheit schon 1967 mit der Gründung von Eurotransplant, einer Organisation, die bis heute die Vergabe für Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien koordiniert.
Aber auch unter den damals sozialistischen Staaten gab es einen Austausch. Der wurde im Dezember 1980 mit der Gründung von Intertransplant vertraglich geregelt. „Wobei die DDR ein Exportland war“, sagt Heynemann.
Sie habe mehr Nieren an die Staaten im Verbund abgegeben als von ihnen empfangen. Aber auch mit westlichen Ländern habe es schon damals Austausch gegeben - wenn sich im eigenen Pool kein passender Empfänger fand.
Seit der ersten Nierentransplantation in der DDR ist ein gutes halbes Jahrhundert vergangen. Das hallesche NTZ war in dieser Zeit bei der Entwicklung dieses Zweiges der Medizin vorn dabei.
Nierenentnahme und Transplantation ohne Schnitt
Und so ist es auch kein Zufall, dass es als zweites Zentrum in Deutschland und als erstes in den neuen Ländern die roboterassistierte Nierentransplantation in den klinischen Alltag eingeführt hat.
Bei der Technik, sie wird bei Lebendspenden angewendet, erfolgen Nierenentnahme und Transplantation mittels Schlüsselloch-Chirurgie, also ohne Schnitt. Medizinisch ist heute viel möglich.
„Aber heute fehlen uns die Organe“, sagt Fornara. Er macht dafür nicht nur die Skandale der vergangenen Jahre verantwortlich. „Wir haben es nicht geschafft, der Organspende die gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, die ihr gebührt“, betont er.
Von einer roboterassistierten Transplantation hat Heinz Rockstroh 1966 wahrscheinlich nicht einmal geträumt. Für Fornara, der als Vorreiter der Transplantationsmedizin viele neue Techniken mit auf den Weg gebracht hat, sind sie logische Fortsetzung einer Entwicklung, die mit Rockstroh begonnen hat.
Fornara sagt, er habe mit der Leitung der Klinik in Halle ein großes Erbe übernommen und weitertragen wollen. Patienten wie Karl-Ullrich Krex profitieren davon. (mz)