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Klinische Studien neuer Therapien Krebs: Neue Thearapien ermöglichen mehr Patienten Heilung

Von Bärbel Böttcher 12.03.2017, 20:36
Simone Pareigis war durch neue Krebsmedikamente der Übergang in ein neues Leben möglich.
Simone Pareigis war durch neue Krebsmedikamente der Übergang in ein neues Leben möglich. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - „Ihre Überlebenschance beträgt maximal zehn Prozent.“ Dieser Satz des Arztes traf Simone Pareigis wie ein Peitschenhieb. Die 37-Jährige rang um Fassung. Vor dem Arztzimmer wartete ihr damals achtjähriger Sohn. Nein, Lars sollte nicht erfahren, wie schlimm es um die Mutter steht. Vor allem für ihn wollte sie kämpfen. „Es war der härteste Kampf in meinem Leben“, sagt Simone Pareigis.

Dieser Kampf liegt jetzt 14 Jahre zurück. Damals, im Januar 2003, bemerkte sie am Rücken so etwas wie einen Pickel. Er verursachte höllische Schmerzen. In der Universitätsklinik in Halle wurde er entfernt. Nach der Untersuchung des Gewebes stand die grausame Diagnose fest: diffus großzelliges anaplastisches B-Zell-Lymphom - aggressiver Lymphdrüsenkrebs.

26 große entartete Lymphknoten wurden bei der heute 51-Jährigen festgestellt. „Mit der damaligen Standardtherapie hätte ich die Krankheit nicht überlebt“, sagt sie. Doch zum Glück sei sie an der Uni-Klinik in Halle an Ärzte geraten, die sie über diesen Standard hinaus behandelt hätten.

Es war das Team um Professor Hans-Joachim Schmoll, der bis zu seinem Ruhestand im Januar 2014 Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin IV war und der bis heute in der Krebsforschung aktiv ist. Die Mediziner verabreichten Simone Pareigis eine Immunchemotherapie, die damals noch in der klinischen Erprobung war.

Neue Therapie gegen Krebs an der Uniklinik Halle getestet

Sie hat nicht gezögert, als ihr dieser Weg vorgeschlagen wurde. „In meiner Situation habe ich nach jedem Strohhalm gegriffen.“ Nebenwirkungen hat die Patientin in Kauf genommen. Und auch die Spätfolgen sieht sie als das kleinere Übel an. „Hauptsache überleben.“

Die Therapie schlug an. „Schon nach dem ersten Zyklus waren die Tumore nur noch halb so groß“, erzählt sie. „Von diesem Zeitpunkt an wusste ich, es geht voran.“ Eineinhalb Jahre später wurde diese Therapie allgemein zugelassen.

Klinische Studien sind eine wesentliche Grundlage für den medizinischen Fortschritt, der heute schneller denn je voranschreitet. Ein Thema, mit dem sich der 7.  Sachsen-Anhaltische Krebskongress am Wochenende in Halle ausführlich beschäftigte.

„Die Krebsmedizin erlebt gerade eine Umbruchzeit“, sagt Schmoll, der auch Vorstandsvorsitzender der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft ist. Fortschritte in der Molekularbiologie führten zu immer differenzierteren Erkenntnissen darüber, wo, vereinfacht gesagt, der Fehler liegt, wenn in einer Zelle Krebs entsteht.

„Zur gleichen Zeit kann - anders als noch vor wenigen Jahren - die Therapie ganz gezielt gegen diesen Fehler gerichtet werden“, erklärt er. Das sei nicht nur neu, sondern geschehe zugleich in rasanter Geschwindigkeit. Bahnbrechende Erkenntnisse dazu gebe es fast monatlich. Dadurch verbesserten sich für immer mehr Patienten die Heilungschancen.

Neue Therapien gegen Krebs: Schnellere Zulassung eröffnen mehr Patienten Heilungschancen

Früher, so erzählt der Onkologe, der sich selbst durch die Entwicklung neuer Behandlungsmethoden etwa auf den Gebieten des Hoden- und des Darmkrebses international einen exzellenten Ruf erworben hat, habe die Entwicklung neuer Therapien zehn bis 20 Jahre gedauert. Und ehe sie dann den Patienten zugute kamen, seien noch einmal fünf Jahre verstrichen. Heute verlaufe dieser ganze Prozess, einschließlich des Zulassungsverfahrens, sehr schnell. Mitunter vergingen nicht mehr als zwei Jahre.

Ein Beispiel für diese rasante Entwicklung ist die so genannte Immuntherapie. Anders als beispielsweise die Chemo- oder Strahlentherapie richtet sie sich nicht gegen den Tumor selbst. Die Immuntherapie aktiviert das körpereigene Abwehrsystem, versetzt es durch bestimmte Substanzen in die Lage, Krebszellen quasi als „Feinde“ zu erkennen, was normalerweise nicht der Fall ist, und sie dann zu zerstören. „Es ist eine Therapie, von der wir früher geträumt haben“, sagt der erfahrene Krebsarzt.

Die Therapie ist neu, die Ergebnisse, die bisher damit erzielt wurden, sind vielversprechend. Schmoll nennt als Beispiel den schwarzen Hautkrebs. „Früher, das heißt in diesem Fall vor zwei Jahren, lag die Überlebenszeit der Patienten bei einem halben Jahr“, sagt er.

Heute seien es in den Fällen, bei denen die Immuntherapie schon angewendet werden kann, mehrere Jahre. „Wie viele genau, das wissen wir noch gar nicht, eben weil die Therapie so jung ist“, fügt der Wissenschaftler hinzu.

Schmoll verweist zugleich darauf, dass Immuntherapeutika noch nicht für alle Krebsarten beziehungsweise Untergruppen zur Verfügung stehen. Aber es würden monatlich mehr.

Vor diesem Hintergrund macht er auf ein ganz anderes Problem aufmerksam: Für den einzelnen Arzt wird es immer komplizierter, dieses ganze Feld zu überschauen. Noch vor fünf Jahren habe es etwa für die Behandlung von Lungenkrebs zwei, drei Chemotherapeutika gegeben. Jetzt gebe es etwa 15 Behandlungsoptionen, die alle nacheinander eingesetzt werden könnten - je nach Beschaffenheit des Tumors.

Der werde genau molekular-biologisch untersucht, um die bestmögliche Behandlung zu finden. Diese differenzierte Analyse führt dazu, dass aus einem Lungenkrebs zehn biologisch und molekular-genetisch verschiedene Arten geworden sind. Und das treffe auf so gut wie alle Tumorarten zu. Dadurch werden die Möglichkeiten der Krebsbehandlung immer besser, die Patienten gewinnen Lebenszeit.

Fortschritt in der Krebs-Therapie: Spezialisierte Mediziner werden gebraucht

„Das ist ein unglaublicher Fortschritt, der immer mehr an Tempo gewinnt“, sagt Schmoll. Er zieht daraus die Schlussfolgerung: „Wir brauchen mehr Experten.“ Das sei kein Problem Sachsen-Anhalts, sondern ein deutschlandweites. In allen entwickelten Ländern - außer Deutschland - gebe es Krebszentren, in denen ausschließlich auf diese Erkrankung spezialisierte Ärzte arbeiteten.

Diese Zentren seien mit denen hierzulande nicht zu vergleichen - auch wenn letztere schon einen Fortschritt darstellten. Dort werde immerhin im Team über die Therapie des einzelnen Krebspatienten beraten. „Doch in Deutschland darf jeder mit einem Arztschild an der Tür Krebs behandeln“, betont Schmoll. „Auch wenn ihm die Erfahrung fehlt.“

Er rät deshalb jedem Patienten, bei entsprechendem Verdacht oder entsprechender Diagnose, sich an ein onkologisches Zentrum zu wenden. Denn, so fügt er hinzu, alles, was an neuen Therapien zur Verfügung steht, komme auch den Patienten in Sachsen-Anhalt zugute.

„Wenn sich der Patient denn an der richtigen Stelle behandeln lässt.“ Und wie der „Fall Pareigis“ zeigt, stehen in den Expertenzentren die neuesten Medikamente oft schon vor ihrer offiziellen Markteinführung zur Verfügung.

Überleben - das wird in Zukunft für immer mehr Krebskranke zur realen Perspektive. In Deutschland erkranken jährlich rund 500 000 Menschen an Krebs. Wissenschaftler prognostizieren - vor allem wegen der Alterung der Gesellschaft - in den nächsten 15 Jahren einen weiteren Anstieg um 30 Prozent.

„Aber“, so sagt Schmoll, „die Methoden der Früherkennung werden sich verbessern.“ Er entwirft ein Szenario, nach dem spätestens in zehn, 15  Jahren durch Blut-, Urin- oder Speicheluntersuchungen Tumorzellen so zeitig entdeckt werden können, dass sie ihren Schrecken verlieren. Die Wahrscheinlichkeit, an Krebs auch zu sterben, sinke dann stark. Die Methode gebe es schon heute. Aber noch sei sie nicht verlässlich genug.

Die neuesten Therapien, die zudem, wie Mediziner versichern, nur geringe Nebenwirkungen haben, sind teuer. Schmoll rechnet vor, dass eine Immuntherapie für Patienten, die an einer bestimmten Unterform von Darmkrebs leiden, etwa 5000 Euro pro Monat kostet. Und sie brauchen sie etwa ein Jahr lang. Das schlägt zu Buche.

Viele Patienten trieb auf dem Krebskongress deshalb auch die Frage um: Werden die Therapien in Zukunft bezahlbar bleiben und allen Bedürftigen zur Verfügung stehen?

Neue Therapien gegen Krebs verursachen höhere Kosten

„Ja“, sagt Schmoll. „Kein Patient muss Angst haben, ein bestimmtes Medikament nicht zu bekommen.“ Gleichzeitig räumt er ein, dass die Kosten dadurch steigen werden.

Andererseits fielen nur elf bis zwölf Prozent des gesamten Arzneimittelbudgets in Deutschland auf Krebsmedikamente. Das sei „verschwindend“ wenig. „Selbst wenn sich der Anteil verdoppeln würde, ist er immer noch gering“, unterstreicht der Mediziner. Er ist sich sicher: „Die Therapie wird in einem relativ ,reichen’ Land wie Deutschland bezahlbar bleiben.“

Es sei derzeit viel im Fluss, resümiert der Wissenschaftler. „Die vergangenen zwei und die kommenden fünf bis zehn Jahre - das ist die hohe Zeit der effektiveren und hilfreichen Krebstherapie.“ Zu hoffen ist, dass künftig viele Menschen so wie Simone Pareigis, die nach ihrer Krebs-Behandlung wieder voll ins Berufsleben eingestiegen ist, sagen können: „Ich zähle als geheilt und lebe, liebe, lache.“ (mz)

Bei der Immuntherapie zerstören Antikörper (blau) gezielt Krebszellen (gelb). Das Verfahren findet bei immer mehr Tumorarten Anwendung.
Bei der Immuntherapie zerstören Antikörper (blau) gezielt Krebszellen (gelb). Das Verfahren findet bei immer mehr Tumorarten Anwendung.
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