Ärztemangel in Sachsen-Anhalt Warum Rentner noch immer Patienten behandeln müssen
Kein Thema schneidet bei der Familien-Umfrage der MZ so schlecht ab wie die medizinische Versorgung. Die Hauptkritik: zu wenig Personal. Vor allem auf dem Land sind die Praxen deswegen überlaufen. Und selbst Ärzte im Rentenalter müssen noch behandeln.
Halle (Saale) - Zum Team der Hausarztpraxis in Görzig (Kreis Anhalt-Bitterfeld) gehören drei Ärzte, die alle in Teilzeit arbeiten. „Ich bin 69, mein einer Kollege ist 67 und der andere 79 Jahre alt“, sagt Andreas Petri – einer vom Görzig-Trio.
Die 700 Patienten, die die Praxis hat, werden von Medizinern im Rentenalter versorgt. „Natürlich würden wir das gerne ändern, doch für so eine Praxis findet man niemanden.“
Ärztemangel in Sachsen-Anhalt: Die Herausforderung der Medizinischen Versorgung
Görzig zeigt gut den aktuellen Stand der medizinischen Versorgung in Sachsen-Anhalt. Die Alten müssen weitermachen, weil nicht genügend Junge nachkommen. Und wenn die Alten nicht mehr können oder wollen, dann entstehen Lücken.
In einigen Gebieten gibt es die schon: Bei den Hausärzten gelten Sangerhausen, Zerbst und Salzwedel als unterversorgt. Weitere Regionen werden folgen, weil ein Drittel der Mediziner im Land über 60 Jahre alt ist. Bei den Spezialisten ist die Lage ähnlich.
Hausärzte in Sachsen-Anhalt: Zwischen Überalterung und Unterversorgung
„Fachärzte auf das Land zu locken, ist utopisch“, sagt Andreas Petri, der auch Vorsitzender der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KV) ist – des obersten Aufsichtsgremiums also.
Dass sich Löcher auftun, zeigt auch die Familien-Umfrage der Mitteldeutschen Zeitung und der Magdeburger Volksstimme. Von den sieben abgefragten Themen schneidet die medizinische Versorgung am schlechtesten ab.
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Medizinische Versorgungszentren: Eine Lösung für den ländlichen Raum?
Die Gesamtnote für Sachsen-Anhalt: 3,51 – wobei 1 der beste und 5 der schlechteste Wert ist. Kritisiert werden der Mangel an Ärzten und lange Wartezeiten. Hoffnungen macht Petri aber nicht: „Die Leute sollten sich über die aktuelle Lage lieber freuen“, sagt er. „Denn besser als jetzt wird es nicht mehr.“
Was der Mediziner meint, erklärt ein Blick in die Zahlen: Obwohl es gefühlt an Ärzten mangelt, gibt es so viele wie nie im Land. Auf 100.000 Einwohner kamen 2021 etwa 623 Ärzte. 30 Jahre zuvor waren es noch 255.
Patientenversorgung im Fokus: Qualität trotz Ärztemangel
„Viele Ärzte bedeutet ja nicht, dass die auch viel arbeiten“, sagt Petri. Die jüngere Generation könne sich mit 60-Prozent-Stellen eher anfreunden als mit 60-Stunden-Wochen. Hinzu komme, dass die Praxen häufiger aufgesucht würden. „Ich hatte gerade einen Patienten, der konnte zwei Wochen nicht arbeiten, weil sein Opa gestorben war – das hätte es früher nicht gegeben.“
Die Praxis in Görzig ist eigentlich nur eine Außenstelle. Andreas Petris Hauptarbeitsplatz liegt im zehn Minuten entfernten Gröbzig. Dort betreibt er seit 1991 eine Praxis, mittlerweile zusammen mit seinem Sohn.
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Landesprogramm unterstützt Nachwuchsmediziner
„Bis vor einem Jahr gab es noch eine zweite Hausärztin im Ort“, sagt Petri. Als die zumachte, kam ein riesiger Schwung neuer Kunden zu ihm. 3.000 Patienten sind aktuell in der Kartei. Bei Infektionswellen reiche die Schlange bis in den Hof. „Mein Sohn hat schon gesagt, dass wir jetzt einen Aufnahmestopp verhängen müssen“, meint Petri.
Doch was dann? Wo sollen die Kranken hin? Laut KV müssen 1.100 ärztliche Stellen in den kommenden Jahren im Land neu besetzt werden. 370 Medizin-Studienplätze gibt es in Sachsen-Anhalt. Und längst nicht alle Absolventen bleiben im Land.
Medizinische Versorgung: Zukunftsperspektiven und Herausforderungen
Um Praxisgründungen attraktiver zu machen, fordern Ärztevertreter mehr Geld im System, weniger Bürokratie und eine funktionsfähige Digitalisierung. Andreas Petri sagt, dass es mindestens auf dem Land ohne Ärzteverbünde nicht gehen werde. Gemeint sind Medizinische Versorgungszentren (MVZ), bei denen mehrere Ärzte zum Teil an verschiedenen Orten, aber unter einem Dach zusammenarbeiten. Das MVZ übernimmt die Administration und bei Personalengpässen kann besser ausgeholfen werden.
Oft sind die Ärzte nicht selbstständig, sondern beim Zentrum angestellt, weil das eher zu einer freizeitorientierten Generation passt.
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Innovative Modelle: Medizinische Versorgungszentren als Erfolgsgeschichte
Ein solches MVZ gibt es auch in Egeln (Salzlandkreis). Die Stadt bekam beim Thema medizinische Versorgung bei der Familien-Umfrage mit 2,98 die Bestnote. „Zwei junge Medizinerinnen haben das MVZ hier gegründet“, sagt Michael Stöhr, Bürgermeister der Gemeinde. In drei Orten arbeiten sieben Ärzte und decken Allgemein-, Kinder- und Innere Medizin ab.
„Besser geht es fast nicht“, sagt Stöhr, der es als Glücksfall beschreibt, dass die beiden Gründerinnen aus der Region kamen und nach dem Studium in die Heimat zurückwollten. „Wir haben sie dann auch unterstützt, als es Probleme beim Hausbau gab.“ Es sei um Kleinigkeiten bei der Baugenehmigung gegangen. „Da wurde schnell eine Lösung gefunden“, meint Stöhr.
Eine Nachwuchsmedizinerin hat auch Andreas Petri nach Gröbzig gelockt. Seit Mai arbeitet mit Juliane Seidler eine junge Ärztin im Praxisteam. Geholfen habe dabei auch ein Landesprogramm.
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Junge Ärzte im ländlichen Raum: Positive Entwicklungen und Unterstützungsprogramme
„Ich wurde während des Studiums finanziell unterstützt und muss dafür drei Jahre in einem unterversorgten Gebiet arbeiten“, sagt Seidler, die den Schritt aufs Land bisher nicht bereut hat: „Die Leute hier sind dankbarer, in der Stadt wird man eher als Dienstleister wahrgenommen.“
Praxisalltag im Fokus: Patientenversorgung durch erfahrene Mediziner
Juliane Seidler allein reicht aber nicht. Um Gröbzig und Görzig auskömmlich zu besetzen, bräuchte Andreas Petri noch eineinhalb weitere Ärzte. Und weil die Suche noch läuft, müssen es die Methusalem-Mediziner richten.
„Mit meinem 79-jährigen Kollegen habe ich eine fünfjährige Kündigungsfrist vereinbart – bisher hat er davon keinen Gebrauch gemacht“, scherzt Petri, um dann ernst zu werden. „Ewig geht das natürlich so nicht weiter, wir wollen ja nicht in der Sprechstunde tot vom Stuhl fallen.“