Ex-Junkie berichtet Schülern von Drogenkarriere
Hildesheim/dpa. - Montagmorgen um 8.00 Uhr in der Schul-Aula: Auf dem Stundenplan der Hildesheimer Robert-Bosch-Gesamtschule steht das Thema Drogenprävention.
Doch auf der Bühne stehen nicht Lehrer, Mediziner oder Sozialpädagogen. Vor den Schülern spricht Wolfgang Kiehl, Ex-Junkie und nach Angaben der Techniker Krankenkasse einzige mobile Suchtberater Deutschlands. Die Schüler hängen an den Lippen des 46-Jährigen, während er von seiner jahrelangen Drogenkarriere berichtet - täglicher Diebstahl mit Beschaffungskriminalität und drei Knastaufenthalte eingeschlossen.
Wolfgang Kiehl spricht die Sprache der Schüler, wenn er ihnen erzählt, wie er erste Erfahrungen mit Drogen machte. «Wir wussten alle in der Clique: Ein Junkie werde ich nicht. Ich werde niemals ein Scheiß-Junkie.» Doch es sollte anders kommen.
Seine Drogenkarriere begann mit Besäufnissen, Joints kamen dazu, später LSD oder Kokain. Oft seien es vermeintlich harmlose Einstiegsdrogen, die der Beginn seien für eine Drogenkarriere. «Du musst einen Junkie fragen, der an der Nadel gelandet ist. Der wird fast immer sagen, er hat mit Sniffen oder mit Kiffen angefangen», erzählt der Mann mit der kräftigen Statur und Kurzhaarfrisur.
Wolfgang Kiehl räumt in seinem Vortrag auch mit Klischees auf. Die wenigsten Junkies hätten einen starren Blick, ein ungepflegtes Aussehen oder einen gebeugten Gang. «Von 100 Junkies würdet ihr nur zehn erkennen.» Besonders in der ersten Phase der Sucht seien Drogenabhängige gut im «Tarnen, Tricksen, Täuschen.»
300 Mark - umgerechnet rund 153 Euro - brauchte er während seiner schlimmsten Abhängigkeit allein für seine tägliche Kokain-Ration. Nachdem alle Rücklagen aufgebraucht waren und Familie und Freunde ihm kein Geld mehr gaben, klaute Kiehl täglich. «Ich habe mich auf Elektrogeräte spezialisiert» erinnert sich der 46-Jährige. Jeden Tag ging er in Elektro- oder Baumärkte und ließ teure Geräte mitgehen.
Die Diebstähle brachten ihn schließlich ins Gefängnis, nicht etwa der ständige Drogenbesitz. Insgesamt dreimal saß Wolfgang Kiehl im Gefängnis. Medikamentenunterstützung für abhängige Gefangene gab es damals noch nicht. Er machte einen sogenannten kalten Entzug durch. Anschließend habe er erstmals seine Sinne wieder richtig wahrgenommen, erzählt er den Schülern. «In dieser Zeit reifte bei mir der Entschluss, eine Therapie zu machen.»
Wolfgang Kiehl hatte Glück. Er fand eine gute Therapie-Einrichtung, schaffte den Absprung. Danach ging es in seinem Leben nicht mehr wie bis dahin bergab, sondern aufwärts. Er holte Abitur und Studium nach und ist inzwischen dreifacher Familienvater: «Ich bin heute happy - glücklich und zufrieden.»
12 000 Jugendliche deutschlandweit erreicht er nach eigenen Angaben mit seinen Vorträgen, die von der Techniker-Krankenkasse finanziert werden. Alle Jugendlichen müssen im Anschluss einen Fragebogen ausfüllen. Laut Kiehls Auswertung haben 65 Prozent der Schüler nach dem Vortrag ihre Einstellung zu Drogen verändert.
Die Präventionsarbeit ist für ihn mehr als nur Broterwerb. Ihm ist es ein echtes Anliegen, Menschen vor einer Drogenkarriere zu bewahren: «Lernt einfach, über eure Probleme zu reden. Wenn ihr an irgendwas gezogen habt, dann müsst ihr verdammt noch mal darüber reden. Das ist der beste Schutz, um nicht irgendwann böse Überraschungen zu erleben.»
Weitere Auskünfte: Suchtmobil e.V., Immental 9, 31061 Alfeld, Telefon: 05181/8552347, E-Mail I: [email protected], E-Mail II: [email protected]
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