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Anrede Anrede: Eine Quelle vieler Missverständnisse

Von Frank-Daniel Jagdt 27.06.2006, 15:29
Begegnung mit Folgen - ein einmal ausgesprochenes Du ist nur schwer wieder zurückzunehmen. (Foto: dpa)
Begegnung mit Folgen - ein einmal ausgesprochenes Du ist nur schwer wieder zurückzunehmen. (Foto: dpa) WEDOpress

Hamburg/Köln/dpa. - «Ich wusste gar nicht, dass er Arzt ist. Vor allem aber wusste ich nicht, ob ich ihn wie im Kurs duzen sollte - oder besser siezen.»

Wie einfach hat es da Popstar Dieter Bohlen. Ihm bescheinigtejüngst sogar ein Gericht, dass er in seiner bekannt burschikosen Art einen Polizisten duzen durfte. Bohlens Äußerung sei unhöflich, aberkeine Beamtenbeleidigung gewesen, hieß es im Urteil, weil das Duzenzu Bohlens «normalen Umgangsformen» gehöre.

So gut hat es nicht jeder. Für viele sind die Anreden desDeutschen kein Glücksfall, sondern eine Quelle für Missverständnisse.Auch wenn man das nicht so sehen muss, wie Stilexperte BernhardRoetzel aus Köln findet: «Nutzen Sie doch kreativ die Nuancen, dieIhnen "Du" und "Sie" bieten!»

Denn ein striktes «entweder-oder» gibt es bei den Anredeformennicht. «Im Prinzip gilt zwar: Einmal per Du, immer per Du. Doch Siekönnen mit der gleichen Person zwischen "Du" und "Sie" wechseln - jenach Anlass und Milieu», sagt Etikette-Trainerin Elisabeth Bonneauaus Freiburg.

Der netten Zufallsbekanntschaft, die man im Cluburlaub oder in derKneipe ohne Nachzudenken duzt, gönnt man bei einem Wiedersehen unterförmlicheren Umständen meist wieder ein Sie - und keiner wundertsich. Deshalb hat die Sprachschülerin Ulrike zurecht gezögert, ob sieihren Kurskollegen, den sie eigentlich nicht näher kennt, nun auch inder Arztpraxis duzen soll.

«Wenn Sie sich nicht selbst schon mit einer vorübergehendenRückkehr zum "Sie" wohler fühlen, dann fragen Sie am besten», rätBonneau. Genau das hat Ulrike getan: Man einigte sich kurzfristigdarauf, wieder «per Sie» zu sein. «Bei der Gruppenarbeit im Kurs sindwir dann aber wieder zum "Du" zurück, und das war gar kein Problem.»

Doch selbst in den vermeintlich lockeren USA sollten Deutsche sichnicht täuschen, dass der schnell angebotene Vorname und die Einladungnach Hause mehr sind als das amerikanische Verständnis vonHöflichkeit, erläutert Sonja Engelbert, Verfasserin des Buchs«Auslands-Knigge» und Hochschuldozentin für interkulturelleKommunikation in Regensburg. «Sie würden sich wundern, wie Ihr"guter, neuer Freund Jim" guckt, wenn Sie seinen Abschiedgruß beimWort nehmen und tatsächlich zum Abendessen an seine Haustür klopfen.»

Als deutsches Phänomen gilt allerdings, dass manche Menschen esschaffen, 20 Jahre lang Büro und Kaffeemaschine zu teilen und dennochbeim «Sie» zu bleiben. «"Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps",an diese Devise halten wir uns oft immer noch», sagt BernhardRoetzel. Dagegen sei aber nichts einzuwenden. Auch andere Länder wieSpanien oder Frankreich pflegten im Beruflichen einen sehr formellenUmgang. Und das geschieht aus gutem Grund, wie Roetzel findet.

Denn ist man erst beim Du angelangt, sind die Möglichkeitenausgeschöpft - zurück nehmen lässt sich ein Du nur schwerlich. «Wennes nicht gerade im Rausch auf der Betriebsfeier passiert ist, solltenSie vorsichtig damit sein.» Das wäre ein unverblümtes Zeichen derDistanzierung.

Das gilt allerdings nicht immer. Wenn aus einem Kreis sichduzender Mitarbeiter jemand besonders schnell die Karriereleitererklimmt und zum Abteilungsleiter aufsteigt, sollte der Kollege demneuen Chef unter vier Augen die Rückkehr zum Sie möglich machen, rätBonneau. «Vielleicht belässt der Chef es aus alter Verbundenheit, wiees ist. Vielleicht nimmt er aber auch dankbar die Gelegenheit wahr,zum "Sie" zurückzukehren, weil er alle Mitarbeiter gleich behandelnwill.» Gerade im beruflichen Umfeld haben sich kreative Zwischenformenbewährt. Das «Hamburger Du» ist eine Vertrautheit, drückt mit seinerKombination aus Vorname und Sie-Form aber immer noch Distanz aus - sowie in «Frank, kommen Sie bitte einmal?». Dennoch ist weiter Vorsichtangebracht, warnt Elisabeth Bonneau: «Das "Münchner Du" funktioniertgenau umgekehrt.» Dort heiße es dann: «Frau Lehmann, kommst du mal?»Das sind Spielereien im Miteinander, um die uns ein Engländer nurbeneiden kann.

Literatur: Sonja Engelbert und Gerhard Hain: «Auslands-Knigge»,Gräfe und Unzer, ISBN 3-7742-7718-4, 12,90 Euro. Werner Besch:«Duzen, Siezen, Titulieren. Zur Anrede im Deutschen heute undgestern.» Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 3-525-34009-5, 10,90 Euro.