Zweiter Weltkrieg Zweiter Weltkrieg: Wie eine sächsische Kleinstadt von den Besatzern übersehen wurde

Halle (Saale) - Im beschaulichen Erzgebirgsstädtchen Schwarzenberg, dessen Namen ältere Ostdeutsche für immer mit einer zuverlässig rumpelnden Bottichwaschmaschine verbinden werden, geht es zur Sache - wegen einer Legende, die nun aus der Welt geschafft werden soll: Die von der „Freien Republik Schwarzenberg“, die es eben dort für ein paar utopisch anmutende Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gegeben haben soll.
Die vor Ort siedelnde, rührige Heimatgeschichtlerin Lenore Lobeck hat jetzt, angeschoben von einem lobenden Vorwort Lutz Rathenows, des Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, in der Evangelischen Verlagsanstalt ein Bändchen dazu veröffentlicht: „Die Schwarzenberg-Legende. Geschichte und Mythos im Niemandsland“. (Buch bei Amazon bestellen)
Das Ergebnis ist bei allem Bemühen, den historischen Tatbestand bis in die Weimarer Republik zurückgreifend und auf die DDR-Zeit vorausschauend zu betrachten und zu werten, dennoch in Teilen unbefriedigend.
Denn die vergleichsweise knappe Darstellung wird den Ereignissen nicht umfassend gerecht, weil in der Absicht, Klarheit zu schaffen und Ideologie-Ballast abzuwerfen, neuerlich ideologisiert wird.
Zum Beispiel arbeitet sich die Autorin an dem deutsch-jüdischen Schriftsteller Stefan Heym (1913-2001) ab. Der wird gleich im ersten Satz des ihm und seinem 1984 erschienenen, in der DDR verbotenen Schwarzenberg-Buch gewidmeten Kapitels als „bekennender Kommunist“ in die Ecke gestellt, der allerdings mit der Politik der SED „nicht immer einverstanden“ gewesen sei.
Nun muss man freilich schon wissen, dass Heym, der von den SED-Kulturpolitikern späterer Jahre als einer ihrer Hauptfeinde angesehen und verfolgt wurde, mit seinem Buch über die „Republik“ Schwarzenberg keinen Tatsachenbericht, sondern ein literarisches Werk geschaffen hat - selbst, wenn das von einigen Lesern missverstanden worden sein sollte.
Historisches hat Heym mehrfach Stoff für spannende Fiktion geliefert, erinnert sei an „Der König David Bericht“ und besonders an „Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe“.
Was sich unmittelbar nach Kriegsende in der Region Schwarzenberg ereignete, bietet in der Tat Stoff für Literatur: Aus bis heute nicht restlos geklärten Gründen waren dort weder die Rote Armee noch US-amerikanische Truppen eingerückt, wahrscheinlich gab es schlicht ein Abstimmungsproblem zwischen den Alliierten.
So blieb die Stadt Schwarzenberg für sechs Wochen, bis zum Einzug der Sowjets, als einziges deutsches Gebiet quasi sich selbst überlassen. Auf einer Internetseite kann man über die Geschehnisse vom 10. Mai, immerhin zwei Tage nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, lesen: „NS-Landrat Dr. Hänichen telefoniert mit Regierungsrat Schramm aus der Sächsischen Staatskanzlei, die sich auf der Flucht im Sporthotel Oberwiesenthal befindet, um Anweisungen zu erhalten. Schramm, Adjudant von Gauleiter Mutschmann, antwortet: ,Handeln Sie selbständig!‘“
Eine zentrale Rolle in der Geschichte (und in Lenore Lobecks Buch) spielt der langjährige Bürgermeister Schwarzenbergs, Ernst Rietzsch. Er war ins Rathaus zurückgekehrt, aus dem ihn am 11. Mai 1945 eine mehrheitlich von Kommunisten und einigen Sozialdemokraten angeführte Gruppe von Bürgern vertrieb.
Gegen Rietzsch hatten bereits 1934 die Nazis ein Abwahlverfahren angestrengt, weil er offenbar nicht deutlich genug „auf Linie“ war. Aber Rietzsch blieb auf höhere Weisung im Amt, am 1. Mai 1937 trat er der NSDAP bei.
Von 1938, nach Ende seiner Amtszeit, war er bis 1944 in der Wehrmacht als „Kriegsverwaltungsbeamter“ im Range eines Militärverwaltungsoberrats (Lobeck) unter anderem in Frankreich und an der Ostfront eingesetzt.
Was genau er in dieser Funktion zu tun hatte und tat, wäre gewiss ebenso von Interesse wie der von der Autorin stärker gewürdigte, tragische Umstand, dass Rietzsch nach dem Machtübernahme durch die Sowjets von Kommunisten offenbar wegen einer alten Fehde aus dem 1920er Jahren denunziert wurde. Dies, nicht seine etwaige Verstrickung mit dem NS-Staat, führte zu seiner Verhaftung und widerrechtlichen Verurteilung. 1946 wurde Ernst Rietzsch erschossen, später posthum rehabilitiert.
Schwarzenberg in Sachsen: Legendenbildung hält an
Dass aber die Schwarzenberg-Saga bis heute die Menschen umzutreiben scheint, erklärt zugleich die Notwendigkeit, sich möglichst frei von Ideologien zu halten. In der DDR kam die Episode naturgemäß als eine stilisierte Helden-Erzählung vor.
Dass interessierte politische Kreise die Schwarzenberg-Legende nun mit Hilfe von Stefan Heyms gegen die SED-Machtpolitik gerichteter Erzählung womöglich als prototypisch für einen „anderen Sozialismus“ gebrauchen wollten, gehört hingegen eher wohl selbst in den Bereich der Legenden.
Wenn es aber doch so wäre - Fantasie ist nicht strafbar. Klar ist freilich auch, dass Literatur und Geschichtsschreibung zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Bei Letzterer muss den Fakten und Quellen akribisch Rechnung getragen werden. Ideologie schadet in jedem Fall. Insofern liegt Schwarzenberg nahe. Weniger als modellhafter, sondern vielmehr als einmaliger Geschichtsort.
›Lenore Lobeck: „Die Schwarzenberg-Legende. Geschichte und Mythos im Niemandsland“, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 237 S., 10 Euro (Buch bei Amazon bestellen)
(mz)