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Zum Tode von Wolfgang Mattheuer Zum Tode von Wolfgang Mattheuer: Lebensgefühl jenseits der Geschichtsbücher

Von Günter Kowa 07.04.2004, 17:12

Halle/MZ. - Auseinander gebrochen ist sie schon lange, die einst gefeierte, viel umstrittene Phalanx der "Großen Vier" der DDR-Kunst - Sitte, Mattheuer, Heisig und Tübke. Nun aber hat der Tod eine erste tatsächliche Lücke gerissen. Wolfgang Mattheuer starb am Mittwoch im Alter von 77 Jahren in einem Leipziger Krankenhaus.

Wenn man den Berichten glauben darf, so ging es bei seinem Tod fast so symbollastig zu wie in seiner Malerei. Eingeliefert wurde der Künstler mit gebrochener Hand nach einem Sturz. Da er bis zuletzt an Bildern tätig war, nahm ihm der Unfall zuerst das Handwerk, dann das Leben.

Aus dem Atelier in einem Leipziger Altbau war von dem Maler aus Reichenbach im Vogtland seit 1962 und bis in jüngste Tage ein stetiger Fluss bildnerischer Mitteilungen gekommen. Jedoch wird der Mattheuer, der für die Kunstgeschichte der DDR eine wesentliche Rolle gespielt hat, fast ausschließlich in seinem Werk der 70er und 80er Jahre repräsentiert.

In der Handschrift war Mattheuers Kunst tief in der grafischen Lehre seiner Studienzeit an der Leipziger Akademie (danach Hochschule) verwurzelt. Zur Malerei kam er dagegen als Autodidakt. Form und Aussage schöpfte er ausdrücklich aus seiner kleinbürgerlichen Herkunft sowie der Inspiration der deutschen Romantik.

Mitte der 60er Jahre stieg die Leipziger Hochschule nicht ohne politische Ränkespiele zu einer wirkungsmächtigen Institution auf. So konnte Mattheuer in seinem Lehramt neben Tübke und Heisig als eine einflussreiche Stimme wahrgenommen werden. Sein Rücktritt im Jahr 1974 änderte daran nichts. Der freischaffende Künstler blieb mit seinen Bildern im Blickfeld, weil sie an den Nerv einer eingeschlossenen Gesellschaft rührten. Mattheuers herausragende Schöpfungen dieser Zeit standen in der Kunst für die Gesellschaftskritik "zwischen den Zeilen". Was in Literatur und Film bis hin zu Zensur und Verbot führte, brachte Mattheuer zwar Unannehmlichkeiten ein, seine Bilder aber gingen an keiner der großen Kunstausstellungen vorbei. 1977 konnten sie auf der "documenta" dem Westen die "Weite und Vielfalt" der DDR präsentieren.

Z-TITEL: "Kein gemütliches Stückchen Wahrheit."

Wolfgang Mattheuer

über "Die Ausgezeichnete"

In Sujets wie "Hinter den Sieben Bergen", "Kain" "Flucht des Sisyphos", "Geh’ aus Deinem Kasten" oder auch das frühe "Ein schöner Sonntag" erkannte sich die DDR in ihrem Stillstand, ihrer Selbstüberschätzung, ihrem Eingesperrtsein. Darüber hinaus spiegeln die Bilder eine ethische Haltung, die Mattheuer immer für sich in Anspruch genommen hat. Ende der 80er Jahre hat er sie in seiner Plastik des "Jahrhundertschritts" auch auf die Ebene einer symbolhaften Bilanz von Zeitgeschichte gehoben.

Es ist jedoch die Fortune der "Ausgezeichneten" von 1973, die wie in kaum einem anderen Werk Mattheuers zwiespältige Haltung zur Kritik offenbart. Dieses war das "Problembild" aus eigener Erfindung, das die größte Resonanz fand. Das im Grunde nahezu kunstlos gemalte Motiv der müden und einsamen alten Arbeiterin vor einem ärmlichen Tulpenstrauß ließ den Betrachter bewusst im Unklaren über seine inhaltliche Stoßrichtung. Verlegene Bescheidenheit einer verdienten Aktivistin? Oder doch Symbol der Einsamkeit "trotz Kollektiv und vielfältiger Anerkennung von Leistungen", wie es ein Kritiker ausdrückte?

Mattheuer - nie ein Mann entschiedener Worte - trug selbst noch dazu bei, den kritischen Inhalt der "Ausgezeichneten" geradezu zu verniedlichen. Von ihr, so teilte er mit, "habe ich nie behauptet: So ist es absolut. Sondern es ist ein Stück der Wahrheit, ein besonderes Stück vielleicht - nämlich dieses Stückchen, das allzuleicht vergessen wird, weil es kein gemütliches Stückchen ist."

Zu den Dissidenten kann Mattheuer gewiss nicht gezählt werden, noch findet sein Werk Fortsetzung im Schaffen der "Nach-Leipziger" Generation. Nach der Wende haben seine Bilder die bekannten Motive bis nahe an die inhaltliche Entleerung weiter gespielt. Aus seiner besten Zeit dagegen hinterlässt er Zeugnisse eines kollektiven Bewusstseins einer Gesellschaft geprägt von Bedingtheiten und Widersprüchen. In seinen Metaphern ist ein Lebensgefühl eingeschlossen, das kein Geschichtsbuch darstellen kann.