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Zeitgeschichte Zeitgeschichte: B. Uhse und die Pickelhauben

Von CHRISTIAN EGER 07.06.2009, 17:45

Halle/MZ. - Eine amerikanische Jugend in Ostdeutschland". Man darf hinzufügen: Auch das Kaiserreich ist heutzutage keine haltbare Bezugsgröße mehr. Aber in der kollektiven Erinnerung doch noch immer farbiger als die Innenwelten der Nachkriegs-DDR, deren Akteure und Konflikte in ein vorsätzliches Vergessen entsorgt worden sind.

Das hat nicht nur Nachteile: Die weltanschaulichen Affekte haben sich gelöst, und bereiten einer entspannteren, wahrnehmungsschärferen Zeitlesart die Bahn. Also wünscht sich Joel Agee zu Recht, dass sein Buch, das 1981 ausschließlich im Westen erscheinen durfte, nunmehr in zweiter Ausgabe deutschlandweit "in dem Geiste gelesen werden kann, in dem es geschrieben wurde: als die Geschichte einer Person." Dabei ist dieses Buch mehr als das. Es ist die Kindheits- und Pubertätsgeschichte des Joel Agee, 1940 als Sohn des Schriftstellers und Pulitzer-Preisträgers James Agee in New York geboren, und 1948 von Mexiko aus mit seiner Mutter Alma und deren zweitem Ehemann nach Ostberlin ausgereist. Und es ist die DDR-Geschichte dieses Ehemannes, des vergessenen Erzählers Bodo Uhse.

1904 als Offizierssohn im Badischen geboren, kam der Journalist Uhse über den linken Flügel der NSDAP zu den Kommunisten, kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg, emigrierte nach Mexiko, ließ sich in der DDR nieder, wo er mit autobiografisch durchwirkten Büchern wie "Söldner und Soldat", "Leutnant Bertram" und "Wir Söhne" große Anerkennung fand und 1963 starb. Marcel Reich-Ranicki schrieb im Nachruf: Uhse "wurde Nazi und blieb intelligent. Er wurde Kommunist und blieb verhältnismäßig liberal. Als Politiker war er ein Phantast, als Künstler Realist. Er schrieb schlechte Bücher und war ein guter Schriftsteller."

War er auch ein guter Vater, ein guter Ehemann? Agee liefert eine Fülle von Bildern und Szenen, ein schlüssiges Urteil lässt sich daraus nicht ableiten: Uhse war in den allzumenschlichen Fragen des täglichen Lebens ein Mann des "Jein" - zögernd, vergrübelt, melancholisch, ein Eskapist, der in Nebenwelten floh, wo er den "Künstler" lebte, der zu sein, er sich als kommunistischer Schriftsteller verbat.

In diesem Künstlertum war Uhse seinem von früh an literarisch dilettierenden Stiefsohn Joel wesensverwandt, der sich als ein "konstitutioneller Bohemetyp" begreift. Agee erzählt mit starker Sinnfälligkeit von seiner Pubertät in den Farben der DDR: seinem Scheitern in der Schule und in den politischen Institutionen, dem Entdecken der eigenen Sexualität, den langen Sommern in Ahrenshoop, den Ausflügen in den Harz. Vor allem aber vom Alltag der Familie Uhse in Groß-Glienicke, wo man eine Villa mit Dienstmädchen, Chauffeur und Reitpferd besaß. Wenn auch im Selbstbericht um ein Drittel zu lang und bei einigen Angaben ungenau (der Autor Alfred Kantorowicz war, was Agee verneint, tatsächlich im Exil), teilt sich als ein wichtiges Buch im Buch die Nachkriegsgeschichte Uhses mit. Ein dem Phantastischen zugeneigter Linker, der die Realität mit Idealismus zu überblenden suchte; das gelang nicht immer. Nach den 1956er Enthüllungen über Stalins Terror beschreibt ihn Agee: "Ich weiß noch, wie Bodo eines Abends beim achten oder zehnten Bier, stöhnend und gekrümmt vor Reue, jammerte, sein Leben sei verpfuscht, er habe sein Talent vergeudet, er habe diesem Schweinehund Stalin seine Seele verkauft."

Uhse sollte sich alsbald wieder fangen, um von einem "neuen Heldentum" zu sprechen, das sich aus dem Vertrauen zur Partei speist. Wie auch anders? Uhse hatte keine Wahl. Er lebte in einer jederzeit als zerstörbar begriffenen Idylle. In seinem Schreibtisch lagerte er eine Flasche Chloroform, um sich selbst und seine Familie im "Fall einer faschistischen Machtübernahme" schmerzlos töten zu können.

Die Ehe mit Alma sollte scheitern: Bodo Uhse wendet sich einer anderen Frau zu. 1960 verlässt Joel Agee mit seiner Mutter die DDR in Richtung Amerika: "Ein sozialistisches Land gegen ein kapitalistisches einzutauschen, kümmerte mich nicht im Geringsten: was hatte das mit meinem Glück zu tun?". Eine Frage, die sich hierzulande nach 1989 millionenfach stellt. Agee hat sie in seinem Jugendreport für sich selbst beantwortet: anrührend, anregend, beflügelt von Hingabe und Beschreibungslust.