Wolfgang Hütt Wolfgang Hütt: Schatten der Vergangenheit
Halle/MZ. - Denn in jenem Jahr 1978, als Wasja Götze die Allegorie auf seine eigene Situation schuf, legte die hallesche Bezirksverwaltung der Staatssicherheit den Operativen Vorgang "Torso" über den Maler an. Kein besseres Titelmotiv hätte sich Wolfgang Hütt für seine Recherche zum "Reformdruck bildender Künstler der DDR" wünschen können, die der Landesheimatbund Sachsen-Anhalt jetzt im Verlag Janos Stekovics herausgegeben hat. Dass der Nestor der halleschen Kunstwissenschaft damit einen neuralgischen Punkt berührt, bewies nicht allein die Resonanz auf die Buchpremiere im Landeskunstmuseum Moritzburg. Die Ausstellung "Im Spannungsfeld der Moderne. Zehn Maler aus Halle" rahmte die Veranstaltung zudem mit einigen jener Namen, die auch am Anfang von Hütts Untersuchung stehen: Ulrich Knispel, Kurt Bunge, Hermann Bachmann und Willi Sitte.
Die paradoxen Formen der öffentlichen Wahrnehmung, die diese Künstler in der frühen DDR erfuhren, fasst der Autor mit einem ambivalenten Begriffs-Paar: Die Kategorien "Gefördert. Überwacht" sind bei ihm weder durch ein "und" verbunden noch durch ein "oder" getrennt. Hütts Absicht ist es, Pauschal-Urteile zu vermeiden - auch weil er Stereotypen der Nachwende-Debatten entgegentreten will.
So konzentriert er sich präzise auf "das Beispiel Halle" und nimmt die Reduzierung des potenziellen Interessenten-Kreises in Kauf. Für diese scharf umrissene Leserschaft hält Hütt nicht nur erschöpfende Analysen, sondern auch streitbare Wertungen bereit: Wenn er die hallesche Kunst der letzten DDR-Jahre als "Opposition ohne politischen Nachdruck" und die legendären Petersberg-Rallyes als "Eulenspiegeleien" beschreibt, urteilt er mit dem Recht eines Zeitzeugen, der von den scharfen Konflikten der 50er Jahre geprägt wurde.
Dass er im Bemühen um historische Gerechtigkeit freilich selbst jene Positionen begründet, die damals den "Formalisten" entgegengehalten wurden, schwächt letztlich die Wirkung: Die Sprache des Essays kann ihre Herkunft aus den kulturpolitischen Debatten der DDR nicht verleugnen, die Kritik an den Kritikern wird ebenso wohltemperiert vorgetragen wie die Verteidigung der Angeklagten.
Dazu gehört auch die bewusste Unschärfe bei der Identifikation von Inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern, deren Decknamen sich nur dem Insider erschließen. Das ist um so bedauerlicher, als der Autor immer wieder auf Joachim Walthers "Sicherungsbereich Literatur" verweist - und damit ein im Ansatz, aber leider nicht im Ergebnis gleichzusetzendes Projekt zitiert. Das Standardwerk zu den Wechselwirkungen zwischen DDR-Staat, Stasi und Bildender Kunst bleibt also vorerst ungeschrieben. Es wird sich dank Wolfgang Hütt aber auf eine weitere kenntnisreiche Vorarbeit beziehen können.
Wolfgang Hütt: "Gefördert. Überwacht. Reformdruck bildender Künstler der DDR. Das Beispiel Halle", Verlag Janos Stekovics, 318 S., 19,80 Euro
Die Ausstellung "Im Spannungsfeld der Moderne" wird noch bis Sonntag im Landekunstmuseum gezeigt, zum Abschluss gibt es um 15 Uhr noch eine öffentliche Führung