Willi Sitte Willi Sitte: Die späte Rückkehr zu einer alten Liebe

Suhl/MZ. - Lust und Politik
"Ich habe Suhl geliebt, zumindest bis 1992", bekennt der Hallenser Künstler Sitte. 1977 lieferte er in der kleinsten Bezirksstadt der DDR sein einziges Wandbild ab, 25 Meter lang, 8,50 Meter hoch, bestehend aus 874 wetterfesten Emailleplatten. Damals der totale Aufreger: nackte Lebenslust, grelle Farbigkeit, rote Fahnen, radikales politisches Bekenntnis. Seinen Platz bekam das Wandbild im Zentrum an einem Seitentrakt der Stadthalle. Sitte musste persönlich kommen, um den verstörten Menschen sein ungewöhnliches Bild zu erklären. Damals erhielt jener Nackte seinen Spitznamen.
1988 erwarb das Bauernhotel auf dem nahen Ringberg das Tafelbild "Die Landsauna". Noch einmal stockte den Suhlern der Atem. Doch die Leute gewöhnten sich an Sittes opulente Werke.
Als diese nach der Wende in den Fundus wanderten, regte sich sogar Unmut. Vor dem Verpacken war der Maler noch einmal nach Suhl gerufen worden. Unter seinem Schirm stand er damals wahrlich im Regen, seine Liebe zu Suhl nahm Schaden. Nie mehr wollte er hier ausstellen. Vor einiger Zeit aber erhielt die Liebe neue Impulse. Die Südthüringer gaben einen Teil des Wandbildes für zehn Jahre an die Sitte-Stiftung Merseburg. Zusammenarbeit bahnte sich an.
Nun erweist Suhl dem Künstler mit der Schau "Der nackte Mensch" Anerkennung. Die Suhler Ausstellungsobjekte sind Leihgaben der Sitte-Stiftung und der Künstlerfamilie, kommen aus Meiningen, Würzburg, Nürnberg und Suhl. Die Auswahl, von der Suhler Galerieleiterin Annette Wiedemann getroffen, gefällt dem 85-Jährigen im Mix zwischen dem bekannten und dem weniger bekannten Werk außerordentlich gut. Da sind die Botschaften von Hoffen, Liebe, Leidenschaft und Lust - Liebespaare, Akte. Da sind aber auch die neuen Arbeiten, die nach 1990 entstanden.
Wie ein kleines Kind freut sich der alte Maler über das Wiedersehen mit seiner "Landsauna". Zwanglos öffnet er sein Innerstes. Er erzählt unzensiert, weshalb er seit 1990 ganz andere Themen malt, aber auch, dass es ihn im Kopf krank macht, wegen seiner Beine nicht mehr an der Staffelei stehen zu können. Was die endgültige Bewertung seines Schaffens anbelangt, setzt er seine Hoffnung auf die junge Generation, "weil die andere Kriterien anlegen wird, um die Werke eines Sitte zu beurteilen".
Ferne Streicheleinheit
Die Suhler Schau ist eine "Streicheleinheit" für ihn. Denn hier muss er nicht auf junges Publikum warten, um Anerkennung zu finden. Hier fragen Leute, ob und wo es seine Grafiken zu kaufen gibt. Hier erklären die Besucher, dass sie froh sind, die vermissten Bilder wieder zu sehen. Hier drängen sich zum Vortrag des Kunsthistorikers Wolfgang Hütt rund 300 Zuhörer. Doch da ist der 85-Jährige bereits wieder gen Halle unterwegs, in die Stadt, von der er in Suhl sagt: "Die hat seit der Wende kein einziges Bild von mir gezeigt. Halle brachte es nicht einmal fertig, wenigstens ein Bild an die Sitte-Stiftung nach Merseburg zu geben. Unglaublich, wie unterschiedlich zwei Städte mit meinem Werk umgehen, obgleich sie doch beide geografisch in Ostdeutschland liegen."
Ausstellung im Haus Philharmonie (Malerei) bis 13. August, in der CCS-Atrium-Galerie (Grafik) bis 15. Oktober, täglich 13-18 Uhr