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Wilhelm Raabe Wilhelm Raabe: Umstrittener Chronist der deutschen Provinz

Von Anita Pöhlig 07.09.2006, 06:40
Der Schriftsteller Wilhelm Raabe (u.a. «Der Hungerpastor», «Die schwarze Galeere») in einer zeitgenössischen Aufnahme.
Der Schriftsteller Wilhelm Raabe (u.a. «Der Hungerpastor», «Die schwarze Galeere») in einer zeitgenössischen Aufnahme. A0009 dpa

Braunschweig/dpa. - Er selbst sah sich kritisch. Und auch 175Jahre nach der Geburt des Schriftstellers Wilhelm Raabe gehen dieMeinungen über seine Bedeutung auseinander. Mehr als 70 Romane,Erzählungen und Novellen hat der am 8. September 1831 inEschershausen im Weserbergland geborene und lange Zeit inBraunschweig lebende Raabe geschrieben. Zu seinen bekanntesten Werkengehören «Die Chronik der Sperlingsgasse» und «Stopfkuchen». WährendTheodor Fontane die gesellschaftliche Großstadtwirklichkeitbeschrieb, gilt Raabe als Chronist der deutschen Provinz in derzweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Nachdem der Sohn eines Justizbeamten die Schule in Wolfenbüttelohne Abschluss verließ, arbeitete er als Buchhändler in Magdeburg.Über Berlin, wo er als Gasthörer studierte, und Stuttgart führte ihnsein Weg 1870 nach Braunschweig, wo er mit Frau und Kindern bis zuseinem Tod am 15. November 1910 lebte. In seiner ehemaligen Wohnunghat die Wilhelm-Raabe-Gesellschaft mit einem Literaturzentrum undeinem Museum Platz gefunden.

Raabes Themen waren unter anderem soziale Probleme,Industrialisierung, Antisemitismus, und mit «Pfisters Mühle» schrieber 1883 einen der ersten Umweltromane. Oft sind gesellschaftlicheRandfiguren seine Helden, die den Kampf des Überlebens mit Mühenführen müssen.

«Raabe hat die Finger auf die Wunden gelegt, aber dann hat erkeine Stellung bezogen, sondern mit Schicksal erklärt», sagt Prof.Renate Stauf von der Universität Braunschweig. Trotz der aktuellanmutenden Themen habe Raabe den Lesern - anders als etwa Lessing -zum heutigen Leben ihrer Meinung nach wenig zu sagen. «Unterhistorischen Gesichtspunkten ist er aber sehr lesenswert, zumal erein brillanter Erzähler war», meint die Literaturwissenschaftlerin.Kaum ein anderer habe das Leben und die damalige Mentalität in derProvinz so detailliert beschrieben wie Raabe.

Wenig schmeichelhafte Worte findet Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki für den Autor: «Ich habe seit vielen Jahren nichts mehr vonWilhelm Raabe gelesen, weil er mich schon vor 50 Jahren ziemlichgelangweilt hat.» Wenn er an Braunschweig denkt, dann fällt ihm eherdie Autorin Ricarda Huch ein. Raabe selbst hätte Reich-Ranickimöglicherweise gar nicht widersprochen, ein von ihm überliefertesZitat lautet: «Ich bin ein Autor des 19. Jahrhunderts, dem 20. habeich nichts mehr zusagen.»

Gerd Biegel, Präsident der Wilhelm-Raabe-Gesellschaft, sieht dasanders: «Raabes Rang und seine Bedeutung in der deutschenLiteraturgeschichte sind nach wie vor groß, auch wenn gelegentlich imFeuilleton betont wird, er sei überholt», sagt Biegel. «Unsere auchüberregional angebotenen Veranstaltungen finden immer mehr Zuspruch,"Stopfkuchen" wurde unlängst sogar ins Japanische übersetzt», nenntBiegel einige Beispiele für das von ihm festgestellte wachsendeInteresse. Auch in der internationalen Forschung sei Raabe wiederverstärkt ein Thema.

Zu seinem 175. Geburtstag finden sowohl in seinem GeburtsortEschershausen, in dem es auch ein Museum gibt, wie auch inBraunschweig zahlreiche Veranstaltungen statt. Alle zwei Jahreerinnert zudem die Stadt Braunschweig mit der Vergabe des mit 25 000Euro dotierten Wilhelm Raabe-Literaturpreises an den Schriftsteller.