Damals in der DDR Wie Julia Raab im WUK Theater Quartier mit Puppen und Figuren die ostdeutsche Geschichte erforscht

Halle (Saale)/MZ - Wie war das denn: „Jung sein in der DDR“? Und interessiert das überhaupt noch jemanden? Offenbar schon, wie sich am Dienstagabend im WUK Theater Quartier am halleschen Holzplatz zeigte. Viele derer, die dort zur ersten Theaterpremiere der Sommerspielzeit unter dem Titel „Sehr kosmische Zeiten“ angetreten waren, werden in den 80er Jahren noch ihre Erfahrungen mit der verschwundenen ostdeutschen Republik gemacht haben.
Demnächst soll Julia Raabs Figurentheaterstück, gefördert vom Fond Darstellende Künste, von der Heinrich-Böll-Stiftung und der Landeszentrale für politische Bildung, seine Runde durch die Klassenzimmer machen. Weil es wichtig ist, etwas über dieses Land zu erfahren, das manchem nicht mehr als eine Fußnote in der deutschen Geschichte wert zu sein scheint. Ein politischer Irrtum, der sich mit Verwerfungen bis in die Gegenwart rächt.
20 Jahre freies Theater: Zeit zum Ernten
„Was wir alles machen“, sagt Tom Wolter nach der Aufführung, als erstaunte ihn die Vielfalt der Möglichkeiten im eigenen Hause. Er wirkt entspannt und ist offensichtlich zufrieden. Das darf der umtriebige Chef der 2017 gegründeten Spiel- und Produktionsstätte für Freies Theater auch sein, die sich kräftig gemausert hat, auf eine treue Kundschaft in der Stadtgesellschaft bauen kann und eben als einer von elf deutschen Spielorten mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet worden ist. Der bringt immerhin 75.000 Euro in die Kasse, Wolter wird das Geld für neue Produktionen gut gebrauchen können.
„Ich komme mir manchmal vor wie auf einer Leiter: So viele Sprossen sind wir schon hinauf gestiegen“, sagt der gelernte Schauspieler, der seit 20 Jahren freies Theater macht. Bereut hat er die Entscheidung nie, für Halle ist es ein Gewinn, was da direkt an der Saale, am Holzplatz zwischen einem Autohändler und dem neuen Planetarium immer noch wächst. Kosmische Zeiten eben.

Und komische auch, wenn man an den ewigen Lockdown denkt, der die Mannschaft des WUK, was für Werkstatt und Kultur steht, doch nicht gelähmt, sondern zum Planen und Bauen angespornt hat. Nun soll geerntet werden. Und noch in dieser Woche wird das Theaterboot an der Kröllwitzer Brücke als zweite Bühne eingeweiht werden. Ein zusätzlicher Reiz, auch als Zeichen in die Stadt Halle hinein. Dem Stammhaus wird das nicht schaden.
In dessen Saal hat Julia Raab nun Erinnerungen an die späte DDR-Zeit geweckt. Die hallesche Puppen- und Figurenspielerin ist schon lange dabei in Tom Wolters bunter Truppe, Leuten mit Ideen öffnet man am Holzplatz bereitwillig die Türen.
WUK-Theater in Halle: Alles andere als Nostalgie
Raabs Rückschau ist alles andere als nostalgisch. Aber auch kritisch mit der abwertenden Haltung, dies alles, der Ostkram eben, gehöre in die Tonne. Die Akteurin spielt dabei hintergründig die eigene, oft nicht reflektierte Unsicherheit der um die 50-Jährigen von heute mit. Die sich eingerichtet haben in der bürgerlichen Welt und nicht mehr viel wissen von ihrem Hinterland. Oder nichts mehr davon wissen wollen.
Julia Raab zeichnet auf Grundlage von Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen das Gruppenbild einer fiktiven Schulklasse, abgebildet in handlichen Porträtköpfen. Und gelangt, von gelegentlichem, sicher der langen Spielpause geschuldeten Ruckeln abgesehen, zu einem flott erzählten Film mit Bildern und Szenen, die einem nahe kommen können.

Da ist die Tochter vietnamesischer Gastarbeiter, die es eigentlich gar nicht hätte geben dürfen. Weil die Genossinnen und Genossen aus Asien gehalten waren, fleißig zu sein, aber bei Strafe ihrer Abschiebung keine Kinder in die Welt setzen sollten. „Fidschi“, dieses Wort hat das Mädchen öfter gehört. Einen widerspenstigen Jung-Punk gibt es, eine lesbische Mitschülerin, die ebenso hart bestraft wird wie die Erwachsene, die sie liebt. Und einen Jungen, dessen Eltern bei der Stasi beschäftigt sind, obwohl offiziell immer vom Ministerium des Inneren als Arbeitsstelle die Rede ist.
Gelogen wurde ja viel im Arbeiter- und Bauernstaat, um des Klassenkampfs wie um des lieben Friedens willen. Beides beschwören die gebürtige Hallenserin und spätere Volksbildungsministerin Margot Honecker sowie der für die Staatssicherheit zuständige Erich Mielke immer mal wieder. Julia Raab trägt deren Puppenköpfe in den Taschen ihrer Pluderhose, worin sie nach kurzen Auftritten auch wieder verschwinden. Auch darin liegt eine Metapher: Ihre Macht ist futsch, aber man soll sie nicht vergessen.