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"Wetten dass..." "Wetten dass...": Hurra wir loben noch!

Von Martin Weber 06.10.2013, 07:09
US-Schauspieler Sylvester Stallone und Markus Lanz am 05.10.2013 in der ZDF-Show "Wetten, dass.." in der ÖVB-Arena in Bremen auf dem Sofa.
US-Schauspieler Sylvester Stallone und Markus Lanz am 05.10.2013 in der ZDF-Show "Wetten, dass.." in der ÖVB-Arena in Bremen auf dem Sofa. dpa Lizenz

Köln - Klosterfrau-Melissengeist-Faktor

Hoch. Weniger Privatfernsehen-Personal, wieder mehr Gäste für die ZDF-Stammkundschaft, Durchschnittsalter: 61. So  die Vorgabe nach dem Geschmacks- und Quoten-Desaster der Mallorca-Ausgabe. Mission accomplished. Auf der Gästecouch: Ruth Maria Kubitschek, 82; Sylvester Stallone, 67; Harrison Ford, 71; Anja Kling, erst 43, schippert aber gern in seichten Filmgewässern, war schon Passagierin auf dem „Traumschiff“; Matthias Schweighöfer, 32, vermeintliche Jugendlichkeit kein Malus, weil Schwiegermuttis Liebling. Im Showprogramm: Cher, 67 (zumindest einzelne Teile von ihr); Helene Fischer. Zählt erst 29 Lenze. War aber, genau wie ihr Lover Florian Silbereisen, 32, schon als Kind alt.

Pfau des Abends

„Dafür, dass es dieser Sendung angeblich so schlecht geht, sind Sie erstaunlich gut drauf“, begrüßt Lanz die Zuschauer in Bremen, und macht diverse Male „Puuuh“. Ja, so ist das bei Auffahrunfällen, auch bei den medialen: Man sollte da nicht hingucken, tut es aber trotzdem. So sind sie eben, die Event-Spanner, und Event-Spanner sind wir schließlich alle. Mal mehr, mal weniger. Im Eröffnungsmonolog entschuldigt sich Lanz für Sendungen der Vergangenheit, spricht von „Krisen in einer langen Ehe“ und „der zweiten Pubertät“, die man durchleben musste. Eitelkeit ist Grundvoraussetzung für Fernsehschaffende. Aber wie Lanz seine sogar noch bei einer „Sorry“-Runde ausstellt: Wow. Wunderbar. Wenn nicht gar: sensationell.

Innovations-Bömbchen des Abends

Die Gäste der Show werden wieder nacheinander auf der Couch platziert. Geschätzte Zahl der öffentlich-rechtlichen Redakteure, die darüber in der Sommerpause in bis zu 43 Meetings beraten haben: 23.   

Plagiat-Faktor

Auch wenn die „Lanz-Challenge“ wegfällt, gilt: Nachmacherei ist immer noch vorrätig. Bei den Einspielfilmen, in denen die Wettkandidaten vorgestellt werden, wird hemmungslos geguttenbergt; sie sind fast eins zu eins bei „Schlag den Raab“ geklaut. Schade nur, dass die Show danach nicht annähernd so spannend und unterhaltsam ist wie das Duell bei Raab.

Superlativ-und Lobhudelei-Fließbandarbeiter des Abends

Lanz, wer sonst? Hier, wir haben leider nicht ewig Zeit und müssen auch ins Internet-Layout passen, nur eine klitzekleine Auswahl: „Sensationelle Wette“, „wunderbare Wette“, „Wow!“, „spektakulärer Auftritt“, „eine Wette, die wunderbar zu dir passt“, „Cher sieht grandios aus, Hammer“, „großer Respekt, sie hat live gesungen“, „tolles Album“, „das ist eine wunderbare Idee“, „eine unglaubliche Leistung“; „what a great performance“, „sehr interessante Schauspielerin“, „eine Wahnsinnsgeschichte“. An dieser Stelle machen wir Schluss; auch Buchhalter des Grauens haben Geschmacksgrenzen.

Dadurch, dass Lanz immer alles dufte, knorke und supertöfte findet, ist leider nichts mehr außergewöhnlich; seine enervierenden Lobhudeleien machen alles gleich und somit Besonderes (was bei „Wetten, dass…? mit Lanz eh nicht mehr vorkommt) per se unmöglich. Für Lanz gilt auch bei dem angeblich überarbeiteten „Wetten, dass…?“: „Hurra, wir loben noch!“

Indiskretion des Abends

Lanz als Dr. Sommer des ZDF. Kann man als Aufklärer peinlicher wirken als mit der Frage danach, ob Cher einst in den körperlichen Infight Jimi Hendrix gegangen ist? „Hatten Sie was mit ihm?“, will Lanz allen Ernstes wissen. Fremdschämerei de luxe.

Trostspenderin des Abends

Ruth Maria Kubitschek. „Ich finde Älterwerden nicht scheiße“, sagte die 82-Jährige. Mehr Verständnis für die ZDF-Stammkundschaft kann man nicht in einen Satz packen.

Reim des Abends

„Bring mir die Kling und dann läuft das Ding.“ Markus Lanz preist Anja Kling als Premium-Schauspielerin an. Kein Witz. Leider.

Erklärbär des Abends

„Schlager ist nichts anderes als Musik, die man gut mitsingen kann“. Markus Lanz analysiert das Phänomen Helene Fischer. Erwähnten wir schon, dass der sehr geschätzte Kollege Hans Hoff Markus Lanz in einem Text aus dem vergangenen Jahr „Quatschwurst“ nannte? 

Ken-und-Barbie-Faktor

Nicht vorrätig. Michelle Hunziker, die ob einer verlorenen Wette noch einmal die Show-Assistentin geben muss, war nicht da. Insofern galt: Ken alias Markus Lanz allein zu Haus.

Botox-Opfer des Abends

Sah lange Zeit nach einem leistungsgerechten Unentschieden zwischen Cher und Sylvester Stallone aus. Bis der Mann, der mal „Rocky“ war, auf der Couch-Zielgeraden knapp gewann. Glückwunsch. Und schöne Grüße an die behandelnden Ärzte.  

Wette des Abends

Keine. Was, auch wenn’s bei „Wetten, dass…?“ schon lange nicht mehr um die Wetten geht, doch auch irgendwie schade ist. Ein Mann, der Eier in die Luft wirft, ihnen hinterher rennt und sie mit einer Bratpfanne auffangen will. Ein Mädchen, das über Lippenpflegestifte catwalkt. Schwimmer, die versuchen, einen Dampfer zu ziehen. Auch für den Rest – u.a. wurden mit einer Dampfwalze Flaschen geöffnet – gilt: Schwämmchen drüber. Kurzweilig, unterhaltsam oder gar spannend war da nichts. Aber auch rein gar nichts.

Wettkönig des Abends

Die mit der Dampfwalze. „Die Dampfwalze ist eigentlich ein Bagger, dann passt das ganz zu ‚Wetten, dass…?’“ Ach, Markus Lanz.

Lichtblicke des Abends

Harrison Ford. War Weltstar durch und durch. Ertrug das ganze Szenario mit stoischer Ruhe und ausgesuchter Höflichkeit. Ob ihm Tom Hanks vorab ein „German-Samstagabend-TV-Trainingslager“ spendiert hat? Machte sogar Menschen Komplimente, die er gar nicht kennt und nie wieder sehen wird. Helene Fischer war sichtlich erfreut. Und auch wenn Cher ein lebendiges Plädoyer gegen Schönheitschirurgie ist und aussieht, als ob sie das verunglückte Werk eines Pocahontas-Zeichners als Gesicht aufträgt: Singen kann sie noch. Gegen halb zehn sagten Cher und Mr Ford goodbye und machten sich aus dem Staub. Glückwunsch auch dazu. Schön, wenn man sich ein Privatflugzeug leisten kann.

Vermisstenmeldung des Abends

Geht raus an den Satz, der dem Kanadier Michael Bublé in der März-Ausgabe zu „Wetten, dass…?“ eingefallen ist: „This is a strange show“. Abschied ist ein schweres Schaf, na klar. Netter als Mr Bublé kann man auf keinen Fall sagen, dass „Wetten, dass…? auf den Gnadenhof der TV-Geschichte gehört. Dringend.