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Wenn der Neger tanzt Wenn der Neger tanzt: Über das verschobene Afrika-Bild der Deutschen und der Europäer

Von Andreas Montag 03.07.2018, 08:00
Migranten aus Afrika, gelandet an der französischen Küste, Juni 2015
Migranten aus Afrika, gelandet an der französischen Küste, Juni 2015 AP

Halle (Saale) - Afrika! Ein magisches Wort, das sofort Reflexe produziert. Dabei ist es dieser Tage fast automatisch das Wort Flüchtlinge, das der Erwähnung Afrikas folgt. Beide Begriffe scheinen geradezu Synonyme geworden zu sein, wodurch die Sicht nur noch mehr verengt wird. Jedermann denkt sofort an Boote voller Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa streben. In immer größerer Zahl. Abertausende. Womöglich Millionen? Die Panik bei vielen Bürgern wächst mit ihren Verlustängsten. Und die Populisten wärmen sich ihre Wahlkampfsuppe auf diesem Feuer, das sie nach Kräften schüren.

Wohliges Gefühl kultureller Überlegenheit gegenüber den „Naturvölkern“

In den 1960er Jahren, als „der schwarze Kontinent“, wie man damals gern sagte, aufzubrechen und sich vom Kolonialismus zu befreien begann, lag Afrika noch weit, weit weg. Und die tief verwurzelten Vorstellungen in den Köpfen der Europäer wurden nicht wesentlich verändert. Fest geprägt waren die überlieferten, von Ethnologen, Forschern und Abenteuerern gezeichneten oder auch fotografierten Bilder von putzigen Primitiven, die mehr oder weniger nackt in Familienclans und dörflichen Strukturen lebten. Das bestärkte das wohlige Gefühl einer kulturellen Überlegenheit gegenüber diesen „Naturvölkern“ und bediente zugleich Sehnsüchte und wohl auch sexuelle Fantasien.

Die waren im Übrigen durchaus nicht nur auf die Herren beschränkt. In animierten Frauenrunden machte man sich gern schon mal quasi plastische Gedanken darüber, wie diese „Neger“ wohl bestückt wären. Wenn man so will: Die direkte Fortsetzung des Rassismus, den Schausteller um die vorletzte Jahrhundertwende anheizten, indem sie schwarze Frauen und Männer in vergitterten Zirkuswagen durch Deutschland fuhren und gegen Entgelt besichtigen ließen.

Wenig Fortschritt gegenüber den früheren Jahren

Illustrierten Bücher von Hans Schomburgk (1880-1967) zum Beispiel, in großen Auflagen auch in der DDR verbreitet, taten ein Übriges. Und in vielen Haushalten fanden sich kunstgewerbliche Teppiche oder farbige Drucke, auf denen nackte afrikanische Mädchen zu sehen waren, die mehr den erotischen Träumen als dem vorgeschobenen Schönheitsideal der Familienväter verpflichtet gewesen sein dürften. Hier gab es wenig Fortschritt gegenüber den früheren Jahren, als sich kitschige, scheinbar auf Mitleid und Empathie zielende Bilder halb oder ganz entblößter Sklavinnen gewisser Beliebtheit beim bürgerlichen Publikum erfreut haben.

Im Grunde hat sich wenig am Afrika-Bild geändert seither. Wir wissen natürlich inzwischen, dass es „dort unten“ auch Städte und eine Wirtschaft gibt. Aber noch mehr erfährt man hierzulande über Kriege, Krisen, Korruption. Weniger über den Anteil des neokolonialistischen Drucks, dem die afrikanischen Staaten ausgesetzt sind. Über ein Elend, an dem die alte Welt durch Rüstungsexporte und Stellvertreterkriege mitverdient hat.

Die verheerende Wirkung der Billig-Agrarexporte aus Europa

Der frühere CDU-Politiker Heiner Geißler (1930-2017), der sich in seinen letzten Lebensjahren zum Anwalt der Armen gewandelt hatte, ist nicht müde geworden, zum Beispiel die verheerende Wirkung der Billig-Agrarexporte aus Europa anzuprangern, durch die Erzeuger vor Ort um ihre Chance auf den eigenen Märkten gebracht werden.

Über solche Themen, erst recht über die Frage des Teilens zu reden, gilt indessen als nicht besonders sexy in Zeiten, wo sich jeder selbst der Nächste ist und ausschließlich Sorge dafür tragen will, sein Hab und Gut gedeihlich zu verwalten und zu mehren. Jeder ist schließlich seines eigenen Glückes Schmied, dem Tüchtigen gehört die Welt. Und wenn es die Afrikaner halt zu nichts bringen, sollen sie gefälligst in ihren Hütten bleiben und darüber nachdenken, was sie falsch gemacht haben. Keinesfalls aber hierher kommen, unseren sauer erarbeiteten Wohlstand und schließlich noch unsere Frauen begehren!

Wenn der Neger tanzt, ist er uns am liebsten

Auch die sogenannten Gutmenschen, die Genuss- und Kunstfähigen machen keine Ausnahme dabei, die Hilflosigkeit ist jedenfalls allgemein. Unlängst gab es im Berliner Gorki-Theater ein bemerkenswertes Gastspiel der von der Choreografin Constanza Macras geleiteten Truppe Dorkypark. Tänzerinnen und Tänzer aus Johannesburg in Südafrika hatten gemeinsam mit Macras eine Szenenfolge über ihren heruntergekommenen Stadtteil Hillbrow erarbeitet. Sehr intensiv. Sehr scharf. Sehr ernüchternd.

Doch so richtig in Fahrt kam das Publikum eben erst bei den letzten Nummern. Da zeigten die Afrikaner, was man von ihnen erwartet: Athletik, Tempo, Körperlichkeit. Wenn der Neger tanzt, ist er uns am liebsten. (mz)

M. Heichele: Sklavin am Brunnen, um 1910, aus der Sammlung Helmut Klewan, München, ausgestellt 2017 in der Kunsthalle Talstraße in Halle
M. Heichele: Sklavin am Brunnen, um 1910, aus der Sammlung Helmut Klewan, München, ausgestellt 2017 in der Kunsthalle Talstraße in Halle
Andreas Montag