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"Unbequem kritisch nicht einfach" "Unbequem kritisch nicht einfach": 300 Menschen nehmen Abschied von Erich Loest

Von Kai Agthe 20.09.2013, 10:48
Der Trauerzug mit Angehörigen, Freunden und Weggefährten folgt dem Sarg des Schriftstellers Erich Loest (1926 - 2013) aus der Nikolaikirche in Leipzig.
Der Trauerzug mit Angehörigen, Freunden und Weggefährten folgt dem Sarg des Schriftstellers Erich Loest (1926 - 2013) aus der Nikolaikirche in Leipzig. dpa Lizenz

Leipzig/MZ - „Einer wie er wird wohl schreiben, so lange er die Feder halten kann“, schrieb eine Kritikerin zum 70. Geburtstag des Schriftstellers 1996. Nun ist zu formulieren: Als er die Feder nicht mehr halten konnte, wollte er auch nicht mehr leben: Am 12. September war Erich Loest aus dem Leben geschieden. Der 87-Jährige starb nach einem Sturz aus dem Fenster der Leipziger Universitätsklinik.

„Keine Reden, keine Lügen, Champagner“, so solle sein Begräbnis aussehen, sagte Loest einmal in einem Interview. Zumindest ohne Reden kam die Trauerfeier in Leipzig nicht aus. Am Freitagvormittag nahmen Angehörige, Freunde und viele Leipziger von dem Autor Abschied. Unter den rund 300 Trauergästen fand sich kaum Prominenz aus Politik und Gesellschaft: Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und Leipzigs frühere Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube und Wolfgang Tiefensee erwiesen dem Verstorbenen die letzte Ehre.

300 Menschen bei Trauerfeier

Auch Oliver Zille, der Leiter der Leipziger Buchmesse, war zugegen. Ferner der Textdichter Helmut Richter („Über sieben Brücken musst Du gehn“), Drehbuchautor Eberhard Görner und Schriftsteller Manfred Jendryschik. Das ist nicht eben viel öffentliche Aufmerksamkeit für einen Mann, der als einer der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts gelten kann.

Mehrere Kränze waren vor dem Sarg aufgestellt: Letzte Grüße der Oberbürgermeister aus Leipzig und Mittweida, Loests Geburtsort. Ein halbes Dutzend Kamerateams filmten das Stillleben. Dass die Trauerfeier in der Nikolaikirche stattfand, kam nicht von ungefähr. Es ist das Gotteshaus, dem Loest, wie Superintendent Martin Henker sagte, 1995 mit dem gleichnamigen Roman ein literarisches Denkmal gesetzt und das er am 17. Juni, anlässlich eines Friedensgebetes in Erinnerung an den Arbeiteraufstand von 1953, letztmals besucht hatte. Die Nikolaikirche galt Loest als Symbol für die friedliche Revolution, die hier ihren Ausgang nahm.

Leipzigs Oberbürgermeister würdigt Erich Loest

Freiheit und Selbstbestimmung, sagte Leipzigs OB Burkhard Jung (SPD), seien Loest immer wichtig gewesen. Von beiden wollte er nicht lassen – bis zuletzt. Loest sei ein „Mahner und Quälgeist“ gewesen. „Er war unbequem, kritisch und nicht einfach“, so Jung. „Ja, er konnte knorrig sein.“ Sein bleibende Verdienst sei es, die Pleiße-Stadt „in die Literatur des 20. Jahrhunderts eingeschrieben zu haben“. Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen), Bürgerrechtler und Mitglied des EU-Parlaments, würdigte Loest als einen Menschen, der versuchte – ein Wort Vaclav Havels aufgreifend –, „in der Wahrheit zu leben“.

Schulz nannte Loest einen brillanten Erzähler, der in eine Reihe mit „Jahrhundert-Chronisten“ wie Heinrich Böll und Günter Grass gehöre. Neben Uwe Johnson sei er einer der wenigen Autoren, die immer wieder die deutsche Teilung thematisiert haben. „Wer unsere Geschichte verstehen will, kommt am Werk von Erich Loest nicht vorbei“, so Schulz.

Nach der Trauerfeier wurde der Sarg nach Mittweida überführt, wo der Autor im Familienkreis beerdigt wurde. Die musikalische Begleitung kam, wie es Loest wünschte, von dem Jazzgitarristen Joe Sachse, der leise Klänge spielte.