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Ulm Ulm: Spuren des Kalten Krieges

Von KERSTIN METZE 10.09.2010, 09:46

HALLE/ULM/MZ. - Mit bombensicherer Trümmerdecke aus stark verdichtetem Stahlbeton. Es ist Hillmanns letzte Führung. "Die Erdversenkungsanlage erfüllt keinen Zweck mehr", sagt er 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung. Der Kalte Krieg sei Gott sei Dank längst vorbei. Ein einziges Mal habe hier im Bunker eine Übung stattgefunden.

"Militärischer Bereich - Zutritt nur für Berechtigte" steht seit 1982 am Eingang zum Bunker, der eine sanitätsdienstliche Einrichtung und nur über ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem zu erreichen ist. Lange Zeit waren die 270 Räume, in denen im Ernstfall bis zu 2 000 Menschen 90 Tage lang hätten überleben können, interessierten Besuchern gezeigt worden. "Aber heute ist die Anlage nicht mehr geeignet, die unvorstellbaren Ängste, die die Menschen vor dem Mauerfall vor einem Krieg hatten, nachzuvollziehen", sagt der Offizier. Die Zeit habe das Grauen verdrängt. Deshalb werde der Bunker geschlossen. Für immer und jeden.

Nicht einmal im Katastrophenfall - etwa bei städtischen Evakuierungen im Zusammenhang mit Hochwasser oder Bränden - sollen hier Menschen vorübergehend unterkommen, obwohl die technischen Anlagen - zum Beispiel für die Abluft, Wasser und Strom - noch funktionieren, Unterschlupf vorhanden ist und alles immer noch tipptopp daher kommt.

In vielen Räumen der Anlage unter dem Bundeswehrkrankenhaus lässt sich ahnen, wofür sie gedacht und mit einem Aufwand von fast 80 Millionen D-Mark gebaut worden waren. Zu sehen sind etwa gestapelte Pritschen, auf denen hätte in Etappen geschlafen werden müssen. Operationssäle, Entgiftungsgeräte, Desinfektionsschleusen, Behandlungsräume, Notstromaggregate. Anderthalb Millionen Liter Wasser sollten für 90 Tage reichen. Sie sind noch heute verfügbar und dienen als Löschwasser. Die Verpflegungsrationen für 2 000 Menschen seien bereits vor Jahren ausgeräumt und Bundeswehrtruppen zur Verfügung gestellt worden, erklärt Hillmann.

Die Besucher streifen wortlos durch die Gänge, sehen die phosphorisierenden Streifen am Boden, die den Menschen auch bei Dunkelheit den Weg weisen sollten. Hin und wieder schütteln einige den Kopf. "Unvorstellbar, wie hier Menschen hätten monatelang ausharren sollen mit dem Gedanken, dass über ihnen ein Krieg tobt, von dem niemand wusste, wie er ausgegangen wäre", sagt Marianne Krug aus Berlin.

Ihr Mann Helmut, knapp 60 Jahre alt, wundert sich besonders, dass ein solcher Bunker noch in den Achtziger Jahren gebaut worden ist. Und das in der alten Bundesrepublik. "Ich hatte immer gedacht, nur bei uns im Osten habe man solch große Kriegsangst gehabt." Klaus Sondermann aus Erfurt muss an einer Stelle schmunzeln: "Fluchtweg West-Ost" steht auf einem Schild geschrieben. Nebenan der riesige "Verwundetenraum" löst Beklommenheit aus.

"Ja, es hat viele Anfragen gegeben, die Anlage beispielsweise für Filmaufnahmen oder die Raumfahrtforschung zu erhalten", sagt Hillmann. Vor allem aus brandschutztechnischen Gesichtspunkten, denen der Bunker mit seinen vielen Schleusen nicht gerecht wird, sei das aber abgelehnt worden. Man merkt dem Offizier an, dass ihm nicht ganz wohl war bei dem Gedanken, einen solchen schaurigen Ort zur Filmkulisse zu machen. "Die Kriegsängste werde ich nie vergessen", sagt Hillmann.

Solche Hintergünde hat es im Juli 2007 nach den Worten des Presseoffiziers allerdings nicht gegeben. Damals gab es eine - wie sich später herausstellte folgenlose - Bombendrohung, dessen Auslöser übrigens nie gefunden worden ist. Das Ulmer Bundeswehr-Krankenhaus über dem Bunker musste komplett geräumt worden. Eine einzige Operation war mit einem Spezialteam zu Ende gebracht worden. Aber die 600 betroffenen Patienten sowie weitere 600 Beschäftigte und Besucher sind nicht in den bombensicheren Keller gebracht worden, obwohl sie dort selbst im Ernstfall hätten überleben und versorgt werden können.

"Man konnte ja nicht wissen, was passiert", erinnert sich Hillmann noch heute. Vielleicht wäre die Panik viel größer ausgefallen als im Freien oder in der Turnhalle, wohin die Menschen letztlich gebracht worden waren? Oder wenn tatsächlich eine Bombe explodiert wäre: Hätte man da nicht unvertretbar lange gebraucht, um die möglicherweise verschütteten Eingänge zum Keller freizukriegen?

Die abschreckende Schutzanlage ist nie zum Einsatz gekommen. Zu Zeiten des Kalten Krieges und auch später nicht. Stabshauptmann Helmut Hillmann entlässt die Besucher, steckt den Schlüssel ins Schloss, schaut sich ein letztes Mal um und verschließt die Eisentür. "Das war's", sagt er mit versteinerter Miene.

Einige der Besucher versuchen, ihn umzustimmen: "Lassen Sie nicht zu, dass dieses Mahnmal für eine schreckliche Zeit in Vergessenheit gerät!" Aber Hillmann wiederholt: "Nein, die Ängste, die wir einst alle durchlebt haben, können Einrichtungen wie diese der Jugend nicht vermitteln."