ARD-Reportage über Clausnitz Clausnitz: Wie ist die Stimmung im Dorf ein Jahr nach der Bedrohung von Flüchtlingen?

Clausnitz - Unvergessen bleiben die schwer erträglichen Bilder Anfang vergangenen Jahres aus dem sächsischen Dorf Clausnitz: Am 18. Februar filmte dort jemand mit seinem Handy die Ankunft mehrerer Flüchtlinge.
Zu sehen sind verängstigte Männer, Frauen und weinende Kinder, wartend in einem Bus, die von einem Teil ihrer neuen Nachbarn mit aggressivem Gebrüll empfangen werden. Ein Trupp blockierte den Bus, der die elektronische Aufschrift „Reisegenuss“ trägt. Der 14-jährige Flüchtlingsjunge Luai wird von einem Polizisten an der Menge vorbei aus dem Bus gezogen. Der Mob grölt euphorisch. Die Aufforderung der Beamten, den Weg frei zu machen, geht im Gelächter unter.
Clausnitz wird zum Synonym deutscher Fremdenfeindlichkeit im Jahr 2016
Es sind die verwackelten Bilder dieser Nacht, die Clausnitz berühmt machten. Der knapp 900 Einwohner zählende Ort avancierte zum Synonym deutscher Fremdenfeindlichkeit im Jahr 2016. Ein Jahr später zeigt die ARD ein differenziertes Bild darüber, wie es nach dem Horror in Clausnitz weiterging.
Die Reporter Klaus Scherer und Nikolas Migut fuhren mehrmals in das Dorf, dokumentierten die Widersprüche, sprachen mit Helfern, Flüchtlingen, dem parteilosen Bürgermeister Michael Funke. Ihr Film trägt den Titel „Der Bus, der Mob, das Dorf - Letzte Ausfahrt Clausnitz“ und lief am Montagabend im Fernsehen. Oft stießen die Fernsehjournalisten in ihrer Recherche auf Schweigen, trotzdem gelingt ihr gezeichnetes Portrait über das Dorf. Clausnitz wird in den 45 Minuten weder als dumpfes Naziloch vereinfachend diffamiert, noch wird die bestehende Fremdenfeindlichkeit in irgendeiner Weise schönrednerisch relativiert.
„Wir brauchen uns hier für nichts zu entschuldigen“
„Ich hätte vorher nicht gedacht, dass Deutsche zu so etwas fähig sind“, sagt etwa ein Flüchtling. Ein anderer fühlt sich sehr wohl, findet es sehr schön im neuen Zuhause: „Wir mögen das Dorf sehr.“ Gezeigt werden Helfer, die gemeinsame Dorffeste organisieren und den neuen Nachbarn bei ihrem Alltag unterstützen. Eine gemischte Fußballmannschaft feiert Erfolge.
Gezeigt wird aber auch ein Dorf, das sich seit dem Geschehenen vor zwölf Monaten im Verteidigungsmodus befindet, mit der Außendarstellung ringt. Wenn die Reporter ohne Kameras losziehen, fangen sie Stimmen ein von Geschäftsleuten: „Wir brauchen uns hier für nichts zu entschuldigen.“
1.000 Mails erhielt der Bürgermeister Michael Funke nach dem Geschehenen. Ein Kulturchef einer großen westdeutschen Stadt hielt ihm in einer Mail vor, sowas hätte es bei ihm nicht gegeben. Andere schrieben, sie würden gern die Mauer wieder aufrichten. Ein Helfer, der bei der Bewältigung der Papierberge unterstützt und dafür von Bayern nach Clausnitz fährt, berichtet, in Sachsen gebe es viel weniger Helfer und Behörden seien hier kaum auf die sprachlichen Barrieren eingestellt.
Manche ehemalige Blockierer sind nun selbst Helfer
Der Flüchtlingsjunge Luai, schon nach einem Jahr der deutschen Sprache mächtig, plant für die Zukunft, ausgerechnet Polizist zu werden. „Weil ich Fußball und die Polizei liebe.“ Dem Beamten, der ihn damals so grob aus dem Bus riss, würde er gern fragen, warum er das gemacht habe. Seine Zukunft ist ungewiss, der Asylantrag seines Vaters wurde inzwischen abgelehnt. Genauso wie der eines anderen Pärchens in Clausnitz. Die Frau ist hochschwanger, sie sollten innerhalb von vier Wochen ausreisen. Der Flüchtlingskreis im Dorf unterstützt das Paar nun dabei, wie sie rechtlich gegen den Ablehnungsbescheid vorgehen können.
Einige derjenigen, die damals dabei waren, den Bus zu blockieren, seien inzwischen mit den Flüchtlingen in Kontakt gekommen und nun selbst zu Helfern geworden. Die Flüchtlingshelferin Monika Köhler erzählt, wie sie von einem Protestierenden in der Nacht zugerufen bekam, am nächsten Tag würde ihr Haus brennen. Die Nacht darauf konnte sie nicht schlafen. Der Nachbar musste eine Strafe bezahlen, kam einige Zeit später zu ihr in die Kirche und entschuldigte sich: „Er hat bereut, was er gesagt hat. Dann habe ich seine Entschuldigung angenommen.“ (mz)