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Thüringen Thüringen: Schloss Ettersburg bietet ambitioniertes Kulturprogramm

Von andreas montag 31.05.2012, 18:39

ettersburg/MZ. - Immerhin: Von dort aus gelangte man auf die neu eingerichtete Zeitschneise, ein Projekt, das das alte Jagdschloss, seit 1775 der Musenhof der Anna Amalia, mit dem Lagergelände verband. Ein Weg von etwa einer Stunde, zunächst hat man das Schloss und den anmutigen, von Fürst Pückler-Muskau angelegten Landschaftspark mit seiner fast 900 Meter langen Waldwiese im Rücken, dann geht es durch tiefen Wald, einem der Schreckensorte der NS-Gewaltherrschaft entgegen. Größer lässt sich ein Gegensatz kaum denken.

Seit 2008 strahlt das vom Bildungswerk Bau Hessen-Thüringen aufwendig rekonstruierte Schloss in alter Schönheit, es wirbt ganz zu Recht mit einem begeisterten Goethe-Ausruf aus dem Jahr 1827: "Hier fühlt man sich groß und frei wie die große Natur, die man vor Augen hat, und wie man eigentlich immer sein sollte." Und der Gast ist ausdrücklich eingeladen, auch über die Zeitschneise hinauf nach Buchenwald zu gehen.

Nun gibt es im Schloss, das auch Übernachtung bietet und ein Restaurant beherbergt, zudem ein Kulturprogramm, das sich wahrhaftig sehen lassen kann. Zumal um Pfingsten wird bei einem Festival an Künstlern aufgeboten, was Rang und Namen hat. Donnerstagabend wurde der Lyriker Reiner Kunze in der Schlosskirche erwartet, am Mittwoch las der Schauspieler Richy Müller (Foto) im Gewehrsaal des Schlosses aus Joseph Roths Novelle "Die Legende vom Heiligen Trinker", geschrieben 1934 und posthum 1939 veröffentlicht.

Roth, der am 30. Januar 1933, dem Tag von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, aus Deutschland emigriert war, ist selbst alkoholkrank gewesen. Heimatlos und verarmt, starb er 1939 in Paris, wo eben auch seine Novelle spielt. Mit dem Tode der Hauptfigur, Andreas, hat der jüdische Autor Roth sein eigenes Ende grandios erzählend vorweggenommen. Diesen Text, einfühlsam gelesen von Richy Müller, den das Publikum vor allem als "Tatort"-Kommissar kennt und bewundert, an diesem Ort und in der Nachbarschaft Buchenwalds zu hören, ist anrührend und verstörend zugleich gewesen. Zumal Roths wunderbare Sprache an eine Kultur erinnert, die mit ihren Protagonisten untergegangen ist, aber nicht vergessen werden soll.

So nimmt man auf Schloss Ettersburg eine Tradition nicht einfach museal auf, sondern führt sie mit Instinkt und Geschick fort. Der Erfolg gibt dem Unterfangen Recht, kein Platz blieb frei zu Müllers Auftritt, ähnlich ist es bei den anderen Lesungen und Konzerten, hört man. Und wenn es die Gäste danach nicht nur zum Sekttrinken ins Freie zieht, sondern auch zur Einkehr - umso schöner. FOTO: DPA

Am Freitag liest um 17 Uhr Ulrich Matthes aus "Der Kommandant" von Jürg Amann, Eintritt: 16 Euro