The Notwist: Ästheten und Forscher
Hamburg/dpa. - Das neue Notwist-Album ist da. Es trägt den Titel «The Devil, You + Me» und ist eine diffizile Angelegenheit. Schließlich hat das lange Warten auf «The Devil, You + Me» große Erwartungen zu höchsten Erwartungen gesteigert.
Der Vorgänger «Neon Golden» wird inzwischen gemeinhin als Jahrhundertplatte gehandelt, die auch nach sechs Jahren nicht abgenutzt klingt. The Notwist haben selbst die Messlatte hoch angelegt. Dass die Band aus Weilheim diese elegant überwindet, offenbart sich zwar nicht beim ersten Hören, lässt sich aber dann doch nicht abstreiten.
Sechs Jahre sind eine lange Zeit, besonders in der Popwelt. In einem halben Dutzend Jahre hört man mindestens ebenso viele Trends und Hypes kommen und wieder gehen. Hörgewohnheiten unterziehen sich einer Nivellierung und einige Bands, die vor sechs Jahren größte Erfolge mit Aussicht auf eine glänzende Zukunft feierten, sind inzwischen vermutlich komplett vergessen. The Notwist hingegen, die vor sechs Jahren ihr letztes, bekanntestes und kommerziell erfolgreichstes Album veröffentlichten, sind keinesfalls vergessen worden. Das liegt nicht nur daran, dass die Bandmitglieder in der Zwischenzeit mit zahlreichen anderen Projekten beschäftigt waren, sondern in erster Linie daran, dass The Notwist einen eigenen Sound geprägt haben und dass ihr 2002er Album «Neon Golden» zu einer Art Meilenstein der Popgeschichte avanciert ist.
Erfolge feierten The Notwist aus dem beschaulichen Weilheim nicht nur in Deutschland. Als eine der wenigen deutschen Bands gelang es ihnen auch, eine Fangemeinde im Rest Europas und in den USA aufzubauen. Anlässlich der Veröffentlichung von «Neon Golden» zeigte sich das einflussreiche US-amerikanische Webmagazin «Pitchforkmedia» noch begeisterte als das deutschsprachige Feuilleton. Die Rezensenten der als überaus kritisch bekannten Website verliehen dem Album fast die Höchstpunktzahl und nahmen zudem der einheimischen Kritik ein Gegenargument aus dem Mund, mit dem sich The Notwist auch anlässlich ihrer neuen Platte «The Devil, You + Me» konfrontiert sehen. Den starken deutschen Akzent, der auf Markus Achers Singstimme lastet, beurteilt man jenseits des Atlantiks als Stilmittel und interessante Komponente des typischen Notwist-Sounds: Eine Lesart, die hierzulande nicht sehr verbreitet sein dürfte, aber durchaus interessant ist, auch im Hinblick auf die neuen Stücke der Weilheimer.
Auf «The Devil, You + Me» wird viel gesungen und an der Massivität des Akzents hat sich seit den Anfangstagen der Band nicht viel geändert. Tatsächlich wären The Notwist ohne diese Eigenart nur halb so interessant, stehen die harte Aussprache und der teilweise leicht holprige Umgang mit Wortbedeutungen und Grammatik doch in einem außergewöhnlichen Kontrast zu der Schönheit der Melodien, der Eloquenz des Songwritings und der kunstvollen Vielschichtigkeit der Ideen, die diese Band zu Songs formt. The Notwist sind Ästheten und Forscher, keine Band, die auf altbewährte Ideen zurückgreift - es sei denn, es handelt sich um die eigenen. Tatsächlich tauchen auf «The Devil, You + Me» Tricks auf, die auch schon frühere Notwist-Platten gelingen ließen. Um allerdings schlicht und einfach den großen Erfolg «Neon Golden» zu wiederholen, hätten sich The Notwist keine sechs Jahre Zeit nehmen müssen.
«The Devil, You + Me» ist eine Platte geworden, die die Geschichte des Notwist-Sounds zum einen zusammenfasst, zum anderen aber auch ganz im Hier und Jetzt spielt. Im Laufe der Tracklist finden sich zum Beispiel in «Your Alphabet» die harschen Gitarren der Anfangstage wieder, bevor die Band elektronische Elemente in den Vordergrund ihrer rückte. Das herausragende «Gravity» scheint ebenso wie «On Planet Off» nahtlos an die Stimmung von «Neon Golden» anzuschließen. Auf dem ganz und gar eingängigen potenziellen Konsens-Ohrwurm «Gloomy Planets» rücken The Notwist akustischen Gitarrensound und den schon diskutierten Gesang in den Mittelpunkt.
Über Gleichförmigkeit kann man sich angesichts der neuen Platte keinesfalls beklagen. The Notwist besitzen eine markante Handschrift, die sich auch vom Einsatz eines 20-köpfigen Orchesters nicht beugen lässt. Insgesamt ist «The Devil, You + Me» ein Album ohne Tiefpunkte und ohne Ausreißer geworden. Ein bisschen Zeit sollte man ihm als Nachfolger einer Platte, die über Jahre einen wundersamen Zauber behalten hat, gönnen. Das neue Album strahlt mit jedem Hördurchlauf ein wenig mehr. Schade, dass zwischen «Neon Golden» und «The Devil, You + Me» kein neues Jahrhundert angebrochen ist, denn sonst könnte man darauf spekulieren, dass diese außergewöhnliche Band zwei Jahrhundertalben in ihrem Lebenslauf verbuchen könnte.