T. Lux Feininger T. Lux Feininger: Der uralte Mann und das Meer
Halle/MZ. - Von Christian Eger Der erste Feininger wandert 1851 vom Badischen her nach Amerika aus. Im Westen liegt die Zukunft, davor die See, die schöne schwere Schiffe trägt. Bootssignale vor pfiffigem Wind, das ist fortan eine Feininger-Melodie. 1887 wirft es den jüngsten Spross zurück auf den alten Kontinent: Lyonel, 17 Jahre alt, der Enkel des Amerika-Pioniers. Lyonel rechnet mit ein, zwei Jahren; es werden 49 daraus. Eine Künstlerkarriere, zwei Ehen, fünf Kinder.
Zwei Töchter aus der ersten, 1905 gelösten Verbindung mit der Malerin Clara Fürst. Drei Söhne aus der 1908 mit der Künstlerin Julia Berg geschlossenen Ehe. Das sind: Andreas (1906-1999), ein Fotograf von Weltrang. Laurence (1909-1976), Musikwissenschaftler und Priester in Italien. Und Theodore Luke, genannt Lux, geboren im Juni 1910 in Berlin. Maler und Kunstlehrer wie sein 1956 mit 84 Jahren in New York gestorbener Vater. Und genauso meeressüchtig, romantisch und einzelgängerisch auf eine nahezu selbstquälerische Art.
Heute lebt T. Lux Feininger an der Ostküste Amerikas, in Cambridge bei Boston, Massachusetts. 95 Jahre alt ist er, Vater von drei Söhnen. Ein bildender Künstler, dessen von 1929 an datiertes Werk durch die in den 90er Jahren in der halleschen Moritzburg gezeigten Ausstellungen eine starke Renaissance erfuhr. Ein Zeitzeuge von Rang, der das Bauhaus in Weimar und vor allem in Dessau erlebt hat, letzteres als eingetragener Student.
1932 zieht Lux mit seinem Bruder Andreas nach Paris. Vier Jahre darauf verlässt er mit seinen Eltern, die bis Herbst 1933 das Dessauer Meisterhaus bewohnen, das von den Nazis terrorisierte Europa Richtung USA. Laurence bleibt in Italien, Andreas folgt über Schweden. Amerikanische Staatsbürger sind die Feiningers allesamt.
Rund 300 Textseiten zählen die Erinnerungen, die T. Lux Feininger unter dem Titel "Zwei Welten" vorlegt: ein Selbstporträt als Zeit- und Sittenbild, der Erziehungsroman eines Künstlers als junger und erwachsener Mann, der heute an der Schwelle zum Uralter steht. Ein Bericht der Selbsterkundung auch, der dem stets stimmungsabhängigen Naturell zur Verortung dient. Kein Report aus einem Guss, aber doch von eindrucksvollen Partien. Sowohl im Blick auf das Bauhaus als auch die Familie liefert Feininger sprechendes und literarisch gekonnt arrangiertes Material.
Ohne Muff und Boa
Der Vorhang zur Welt hebt sich im August 1914 in Weimar: Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges setzen die ersten Erinnerungen ein. "Das Wort ,Mobilmachung' ist überall zu hören, im Haus und auf der Straße." Die Feiningers verlassen ihren Sommersitz und kehren nach Berlin-Zehlendorf zurück. Den Kindergebeten, schreibt Lux, wurde nach der Zeile "mach, dass ich ein gutes Kind werde", die Formel angehängt: "und lass Deutschland den Krieg gewinnen". 1919 erfolgt der Ruf Lyonel Feiningers an das in Weimar gegründete Bauhaus; bevor die Familie ihr Haus in der Gutenbergstraße bezieht, residiert sie im "Hotel Elephant". Lux erinnert ein nachherzogliches Idyll: "die tiefe Ruhe der von Bäumen beschatteten Schillerstraße", "Lagerfeuer, Gitarren und Singgruppen an Sommerabenden im Wäldchen". Andererseits steht das Idyll "unter Vorbehalt". Die Reaktionen auf das Bauhaus reichen "bis hin zu offener Feindschaft".
Die Bauhaus-Partei igelt sich ein, bewegt sich in geschützten Räumen, die Orte der Verwandlung sind. Man speist vegetarisch und denkt esoterisch. Julia Feininger, noch eben eine "respektable Matrone mit Hut, Boa und Muff", wirkt in den Augen ihres Sohnes plötzlich "merkwürdig verjüngt". Sie trägt "Zöpfe zu Spiralen über jedes Ohr gerollt", dazu "weite, ausgesprochen leicht zu reinigende Kleidung, zweifelsfrei ideal für die Töpferwerkstatt". Von außen her dringt der "üble Geruch" des Antisemitismus ins Elternhaus; die Brüder grölen judenfeindliche Lieder in den eigenen vier Wänden, eine Art von vorauseilendem Gehorsam. "Wenn es um die Rassenzugehörigkeit anderer ging", schreibt Lux über seine Mutter, "war sie ein vollkommener Snob". Die Jüdin ohne Religion lässt ihre Kinder im Dunklen darüber, wer warum ein Jude genannt wird. "Mir scheint, dass meine Eltern viel zu blind für das waren, was sich zu Hause abspielte, und in der Tat viel zu sehr in der Welt des Bauhauses verstrickt waren, um zu wissen, was um sie herum geschah." Alte Kinder, die Kinder aufziehen. Lux pendelt zwischen Schule und Bauhaus. Er beobachtet die Studenten und begreift, "dass diese mageren Leute mit ihrem scheuen Blick meine Leute waren".
1926 siedelt die Familie gemeinsam mit dem Bauhaus um. "Dessau war viel urbaner als die alte, kleine Goethestadt. In einer industrialisierten Umgebung gelegen, stand das politische Naturell dort mehr im Einklang mit den neuen Ideen und war folglich weniger leicht durch exotische Erscheinungen einzuschüchtern; ironischerweise gab es wegen der höheren Toleranz gegenüber fremden Einflüssen aber auch weniger Bedarf für sie."
Drei Interessen treiben den jungen Lux voran: die Fotografie, die Bühnenarbeit bei Oskar Schlemmer und die Tanzkapelle des Bauhauses. Lyonel, der für Jazz kein Ohr hat, kauft seinem Sohn eine Klarinette. Überhaupt der Vater: Als "äußerst sensiblen und introspektiven Künstler" zeigt ihn Lux. "Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals in Sachen Berufswahl ein Gespräch zu Hause gegeben hätte." Die ersten Malversuche seines Sohnes nimmt Lyonel Feininger mit Wohlwollen zur Kenntnis. Im Gegensatz zu den Aktivisten des Bauhauses unter Hannes Meyer. Die etikettieren die mit "Theodor Lux" gezeichneten Bilder als "gesellschaftlich bedeutungslos".
Das kann einen Seemann nicht erschüttern. Wie der Vater findet Lux seine künstlerischen Sujets in der Welt des Wassers und der Schifffahrt. Das Alles-im-Fluss-halten gilt ihm als Lebenshaltung. Auf die Frage, was ihn nach einer Krise aufgerichtet habe, antwortet der früh von einem Gefühl des Ausgeschlossenseins heimgesuchte Lux: "Das süße Singen aus der See!"
Seemann an Land
Das heute der halleschen Moritzburg gehörende Gemälde "The Nigger of the Narcissus" von 1933 zeigt einen schlaksig in Blau gekleideten Matrosen, der in das Hafenwasser vor einem Großsegler blickt. T. Lux Feiningers Kommentar zum Bild liest sich als eine Auskunft in eigener Sache: "Ich sehe meinen schwarzen Seemann als Musterbeispiel des Künstlers, der in einer Welt alleine ist, die nicht er ist; der im Schatten von etwas geht, das er nicht geschaffen hat; und der ein Spiegelbild seiner selbst sucht, um es zu fragen, wer er ist."
Julia Feininger begleitet die Arbeit des Sohnes mit Skepsis. "Der Sohn im Museum und der Vater nicht!", klagt sie nach einem Ankauf des Metropolitan Museums. Nach dem Tod ihres Mannes zeigt sie den kleinen Neid der Künstlerwitwe. "Auch dein Vater musste damals mit den Kindern zurecht kommen - nur dass er ein Genie war." Das Drama des begabten Kindes eines begabten Elternpaares. Bei aller kulturhistorischen Wertigkeit im Detail: Man fasst mit diesem klug reflektierenden Buch ein anrührend ernsthaftes Leben an.