1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Sting: Sting: «Ich sehe nicht alt aus»

Sting Sting: «Ich sehe nicht alt aus»

30.09.2011, 15:17

Halle (Saale)/MZ. - Sting, Ihren 60. Geburtstag feiern Sie am Sonntag mit einem Konzert im New Yorker Beacon Theatre, bei dem Sie auch mit Bruce Springsteen und Lady Gaga auftreten. Was bedeutet es Ihnen, 60 zu werden?

Sting: 60 Jahre alt zu werden - das ist ein Meilenstein, in jedem Leben. Viele meiner Freunde sind vorher gestorben. So gesehen bin ich froh, dass ich so alt geworden bin. Und deshalb will ich feiern, dass ich 60 werde, mit meiner Familie und mit meinen Freunden auf der Bühne. Wir werden da oben stehen, singen, Musik spielen. Ich könnte mir keinen besseren Rahmen vorstellen.

Sich darüber zu freuen, dass man noch nicht tot ist, ist eine Facette. Aber 60 zu werden, bedeutet ja auch, dass man nicht mehr jung ist.

Sting: Vielleicht bin ich ja am Tag nach der Feier depressiv. Obwohl, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

Wenn Sie morgens in den Spiegel schauen, gefällt Ihnen, was Sie da sehen?

Sting: Ich sehe nicht alt aus! Aber ich habe die Erinnerungen eines 60 Jahre alten Mannes. Das wird mich wohl in der nächsten Phase meines Lebens beschäftigen, dass ich mich mit dem noch älter Werden auseinandersetze, und damit klar komme.

Haben Sie keine Angst vor dem Älterwerden?

Sting: Ich hoffe, dass ich diesen Lebensabschnitt genießen kann. Ich will nicht krank werden, ich hoffe, dass ich so lange wie möglich vital sein kann. Bislang hat die Musik mich immer jung gehalten.

In Ihrem Beruf ist es nicht einfach, unverkrampft alt zu werden. Was auch daran liegt, dass viele Song-Texte aus der Gründer-Zeit des Rock das Älterwerden verteufelten: "What a drag it is getting old", "Too old to Rock´n´Roll too Young to die", die Liste ließe sich fortsetzen.

Sting:Was insofern kurios ist, weil die meisten der Musiker, die diese von Ihnen zitierten Zeilen geschrieben haben, Mick Jagger oder Pete Townshend, noch alle sehr lebendig und aktiv sind.

Die sind Ihnen, was das Alter betrifft, etwas voraus und werden in nicht allzu ferner Zukunft 70.

Sting: Bei mir ist es ein bisschen anders als bei diesen Kollegen. Auch wenn mich Musik jung gehalten hat, fühlte ich mich andererseits immer älter, als ich tatsächlich war. Ich war immer alt im Kopf, das ging mir schon als Teenager so. Ich war immer sehr ernsthaft, in mich gekehrt. Insofern bedeutet das Älterwerden im Pop-Geschäft für mich persönlich keine umwälzende Veränderung. Denn ich war nie dieser wilde, ewig jugendliche Rock'n'Roll-Typ.

Sie haben schon vor mehr als 20 Jahren Zeilen wie diese geschrieben: "I swear in the days still left we will walk in fields of Gold".

Sting: Ich habe mir in meinen Songs immer wieder vorzustellen versucht, wie das sein wird, älter zu werden. Jetzt, wo es tatsächlich eintritt, kommt es mir nicht mehr so seltsam vor. Ich habe mich gewissermaßen darauf vorbereitet. Es ist wichtig, sein Ende zu proben.

Jetzt schwadronieren Sie wie der von Billy Crystal gespielte Mann in "Harry und Sally", als er Meg Ryan mit dem Bekenntnis zu beeindrucken versucht, er denke ständig über den Tod nach.

Sting: Aber es ist mein großer Ehrgeiz, mein großes Ziel, auf eine gute Weise zu sterben. Auch um meinen Hinterbliebenen zeigen zu können, wie man es macht. Nur weiß ich leider selbst noch nicht, wie das geht. Ich kann nichts Verkehrtes daran finden, sich damit auseinanderzusetzen, zu trainieren, älter zu werden.

Die meisten trainieren, um jünger zu wirken. Wie trainieren Sie das Älterwerden?

Sting: Man sollte darüber nachdenken, was ein erfülltes Leben ausmacht und wie man sich ein hoffentlich langes Leben vorstellt. Ich möchte noch älter werden, ich will jetzt noch nicht sterben. Songs darüber zu schreiben - das ist wie eine Art Meditation. Ich kann mir kein interessanteres Thema für einen Autor vorstellen, als den Tod - ganz gleich, ob es um Pop-Songs oder Romane geht. Die Vorstellung des Todes ist, aus dem Blickwinkel eines Künstlers betrachtet, unglaublich inspirierend.

Das ist bei vielen Ihrer Kollegen in eine Todessehnsucht umgeschlagen: "I hate myself and want to die", schrieb Kurt Cobain kurz bevor er sich erschoss.

Sting: Das meine ich nicht. Aber dass wir am Ende unseres Lebens diese definitive Grenze sehen, macht das Leben an sich wertvoller, bedeutsamer. Der Tod ist etwas furchtbares, er bedeutet aber auch: Jede gelebte Minute ist wichtig. Wenn man jung ist, fühlt man sich unsterblich, man verschwendet ständig seine Zeit - eine Stunde, eine Woche, ein Jahr. Ich will meine Zeit nicht verschwenden. Jede Stunde ist wichtig, weil ich spüre, es sind nicht mehr so viele Stunden übrig, wie zu jener Zeit, als ich 20 war.

Der Guardian, die Sie ja täglich lesen, hatte Sie scharf angegriffen, nachdem Sie 2009 in Usbekistan ein Konzert gaben, das von Gulmara Karimova, der Tochter des usbekischen Despoten Islam Karimov organisiert wurde. Warum haben Sie das gemacht?

Sting: Ich glaube nicht mehr pauschal an die Wirksamkeit von kulturellen Boykotten. Wenn man ein Land wie Usbekistan, in dem Menschenrechte missachtet werden, kulturell boykottiert, fördert man dadurch nur dessen weitere Abschottung, die Paranoia verschärft sich noch. Ich hatte mich über das Land informiert, wusste dass Karimov sich nicht um Menschenrechte schert. Aber solche repressiven Regime verändern sich nur durch den Austausch von Ideen, durch Handel.

Jetzt reden Sie wie jene Wirtschafts-Manager, die immer dann vom "Wandel durch Handel" sprechen, wenn sie Geschäfte mit Despoten rechtfertigen wollen.

Sting: Ich meine auch den Austausch von Ideen zwischen Künstlern. Aber es gibt immer wieder Ausnahmen. Erst vor ein paar Monaten habe ich ein Konzert in der kasachischen Hauptstadt Astana abgesagt. Warum? Die Regierung hatte den Ölarbeitern das Recht zu Streiken untersagt. Als die Arbeiter dennoch streikten, wurden sie geschlagen und ins Gefängnis gesteckt. Ich sollte für die politische Elite in der Hauptstadt spielen. Da die Regierung dort identisch mit der Ölgesellschaft ist, habe ich abgesagt.

Die Absage Ihres Konzertes in Kasachstan wurde in vielen Medien positiv kommentiert. Warum haben Sie solche Bedenken nicht vor dem Konzert in Usbekistan gehabt, dessen Regime nach Angaben von Amnesty International ebenfalls die Menschenrechte verletzt?

Sting: Das Konzert in Usbekistan war ein Wohltätigkeitsauftritt für eine Kinderhilfsorganisation. Und er wurde, das stimmt, von der Tochter des Diktators organisiert.

Neue Songs haben Sie in den letzten acht Jahren keine mehr geschrieben. Fällt Ihnen nichts mehr ein?

Sting: Ich finde nichts Schlechtes daran, all die Songs, die ich bisher geschrieben haben, immer wieder mal aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und zu interpretieren.

Früher haben Sie mal gesagt, Rückblicke seien Ihnen ein Graus, Sie wollten lieber nach vorne blicken.

Sting: In den letzten acht Jahren hatte ich nicht das Bedürfnis oder den Drang verspürt, mich ausdrücken zu müssen. Ich bereue nicht, dass ich statt dessen meine alten Songs gespielt habe.

Oder Sie spielen Songs von Kollegen. Als Bruce Springsteen nach seinem 60. Geburtstag von Barack Obama geehrt wurde, spielten Sie ihm zu Ehren seinen Song "The Rising". Gibt es da Momente, in denen Sie sagen: Mensch, sowas hätte ich auch gern geschrieben?

Sting: Bruce ist ein sehr guter Freund von mir. Ich fühle mich ihm sehr nahe, auf ganz vielen Ebenen. Ihn auf diese Weise zu würdigen, war mir eine ganz besondere Ehre. "The Rising" ist einer meiner Lieblingssongs von ihm. Er beschreibt 9 / 11 aus der Sicht eines Feuerwehrmannes, der sich seinen Weg hinauf in die brennenden Türme des World Trade Center bahnt. Ich liebe die Metaphern in diesem Lied. Es ist ein Song über den Tod aber auch über Wiedergeburt. Der Song kommt aus der tiefsten Dunkelheit, strahlt aber zugleich etwas Hoffnungsvolles aus, das dich aufbaut. Ich war sehr glücklich, als Bruce mir nach dem Konzert sagte, wie sehr ihm meine Version gefallen habe.

Haben Sie mal darüber nachgedacht, mit Springsteen zusammenzuarbeiten, Songs zu schreiben?

Sting: Nein. Bruce und ich, wir leben in unterschiedlichen Universen, getrennt voneinander. Wir sind Freunde, unsere Familien sind miteinander befreundet. Jetzt singe ich erst mal wieder mit ihm auf meinem Geburtstag. Aber ein gemeinsames Album, gemeinsame Songs? Ich weiß nicht. Eher nicht.

Das Gespräch führte Martin Scholz.