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Sighard-Gille-Ausstellung Sighard Gille: Werkschau "ruhelos" im Museum der bildenden Künste Leipzig

Von Joachim Lange 07.11.2016, 19:12
Sighard Gille vor seinem Werk „Brigadefeier - Gerüstbauer“ (1975-1977)
Sighard Gille vor seinem Werk „Brigadefeier - Gerüstbauer“ (1975-1977) dpa

Leipzig - Sighard Gille gehört zu den Malern der Leipziger Schule, die man gar nicht übersehen kann. Der Blick auf die gläserne Fassade des Gewandhauses sichert seiner Handschrift eine dauernde Präsenz im Stadtbild.

In der gerade eröffneten Sighard-Gille-Ausstellung „ruhelos“ im Museum der bildendenden Künste Leipzig ist jetzt auch das sechs Mal kleinere Modell zu diesem Foyerhimmel mit dem schönen Titel „Gesang vom Leben“ in der gleichen Neigung wie das Original aufgehängt.

Eine große Werkschau im Bildermuseum für den gerade 75 Jahre gewordenen Schüler von Bernhard Heisig, der längst selbst zum Lehrer wurde (zum Beispiel von Matthias Weischer) war überfällig. Er habe ihn in 26 Jahren weichkochen müssen, meinte Gille denn auch bei der Eröffnungspressekonferenz mit schelmischem Seitenblick (und einem Beigeschmack von Wahrheit) in Richtung von Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt.

Doch nun ist es so weit. Mit viel freundlichem Rückenwind der „Peter und Irene Ludwig Stiftung“, der ja nicht nur im Falle Gille bald mehr noch als den Kunstsammlungen vor Ort zu danken ist, dass die Malerei aus dem Osten Deutschlands nicht unter politischer Quarantäne in den Depots verstaubt.

"ruhelos" im Museum der bildenden Künste Leipzig: Werkschau von Sighard Gille als breiter Überblick

Andererseits hat es seine Vorteile, dass das Leipziger Bildermuseum (das mit Bernhard Heisig, Werner Tübke und Neo Rauch nur das Allernötigste an Großausstellungen auf die Lokalheroen verwendet hat), sich so viel Zeit gelassen hat. Dadurch wird der Blick auf das Gesamtwerk nicht nur zur nostalgischen Rückschau.

Er wird zum imponierend breit gefächerten Überblick eines lebendigen und immer noch mit Neuem aufwartenden Oeuvres.

Mit Ausnahme der über fünf Meter hohen, aus Metallteilen gebauten Skulptur „Don Roland“ gleich im Eingangsbereich, werden (wie hier üblich) im Untergeschoss über 80 Werke von Gilles Malerei gezeigt. Nur ein knappes Drittel stammt aus der Zeit vor dem Ende der DDR.

Darunter sind das berühmte Diptychon „Brigadefeier - Gerüstbauer“ (1975 bis 1977) und die „Fähre“ (1977), die auf der VIII. Kunstausstellung in Dresden für kontroverse Diskussionen sorgten und Beispiele für die Erweiterung des damals immer brüchiger werdenden ideologieverpflichteten Realismusdogmas lieferten.

Hier feierte man sich ziemlich handfest weg vom Klischee, hier hatte das nahezu verschmolzene, nackte Paar etwas entschieden Sinnliches. Auf der IX. Kunststellung war dann Gilles „Frühstück“ (1977-1979) ein Beispiel für das selbstbewusste Bestehen eines Künstlers auf dem Sujet des Privaten.

Etwa 80 Bilder schmücken die Sighard-Gille-Ausstellung „ruhelos“ im Museum der bildenden Künste Leipzig

All das lässt sich nicht nur in Ruhe nachvollziehen, sondern in das Gesamtwerk einordnen, denn als Ausstellungskatalog dient das auf den neuesten Stand gebrachte Werksverzeichnis, das das Jahr 2015 einschließt. Klug eingeleitete und üppig bebildert sind die 1 200 Bilder akribisch mit Provenienzverlauf und Ausstellungsgeschichte versehen.

Ein über sechs Kilo schwerer Wälzer, der fortan zu den Standardwerken gehört, wenn es um einen Überblick der Leipziger Malerei der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit geht. Man wird daran erinnert, dass Gille zehn Bilder zum ersten Beitrag der DDR zur XI. Kunst-Biennale in Venedig beisteuerte.

Eine Überraschung für viele Freunde von Gilles Kunst dürfte die auffallende neue Farbigkeit, Dynamik und der energische Farbauftrag sein, mit denen der Maler in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten dem inneren Kompass folgte. Wie er bei sich blieb und dauernd veränderte. Der Wechsel von den Brauntönen zur explodierenden Farbigkeit fällt als Zäsur jedenfalls auf.

New Yorker Stadtansichten gehören auch zur Sighard-Gille-Werkschau "ruhelos" im Museum der bildenden Künste Leipzig

In der locker chronologisch geordneten Schau, die immer mal von einem der vielen Selbstbildnisse vom Künstler beäugt wird, gelingt der große Überblick fabelhaft. Bei Arbeiten, die Ende der 60er Jahre an der Hochschule für Grafik und Buchkunst entstanden, ebenso wie bei den Ikonen der DDR-Malerei. Ein Kapitel für sich sind die expressionistisch anmutenden Reminiszenzen an die Malerei und ihre Protagonisten selbst.

Wie „Drei deutsche Maler“ (1997) mit den Köpfen von Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und Bernhard Heisig, die ironischerweise mit Messer und Gabel bewaffnet sind. Bei den jüngeren Werken überrascht weniger die Hinwendung zum Erotischen (was bei Malern ein häufig anzutreffendes Alters-Phänomen ist) als vielmehr die zu Blüten, Früchten und Landschaften, die mit den New Yorker Ansichten spannend korrespondieren.

Und dann - wie gesagt - sein „Don Roland“, der die Besucher dieser opulenten Ausstellung begrüßt und verabschiedet. Den gibt’s (da kennt Gille nix) auch als Steckmodell oder als kleine Bronze im Museumsshop. Wer etwas davon, den Katalog und die Flut von Eindrücken mit nach Hause nimmt, der hat allerhand zu schleppen!

Bildermuseum Leipzig: bis 22. Januar. Di-So 10-18 Uhr, Mi 12-20 Uhr (mz)