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Schweden Schweden: Bergmans neue Selbstentblößung

Von Thomas Borchert 15.12.2004, 07:02

Stockholm/dpa. - Ingmar Bergman setzt auch im Alter von 86 Jahrenseine Selbstentblößung in Filmen und Büchern fort. Unter dem Titel«Drei Tagebücher» hat der schwedische Meisterregisseur in Stockholmzusammen mit seiner Tochter Maria von Rosen (45) einen Bericht überdas Krebsleiden und qualvolle Sterben seiner fünften Ehefrau Ingridvor neun Jahren veröffentlicht.

Für Schlüssellochgucker mit Neigung für hässlicheFamiliengeschichten dürfte die Vorgeschichte des Buches dereigentliche Clou sein: Zum ersten Mal überhaupt bekannte sich Bergmanöffentlich als Vater Marias. Die Tochter, bis jetzt eine unbekannteTeilzeit-Autorin von TV-Manuskripten, berichtet im Buch, dass sieerst im Alter von 22 Jahren von Bergman sehr beiläufig über ihrewirkliche Herkunft aufgeklärt worden sei.

Ingrid von Rosen hatte in den 50er Jahren ein erstes Verhältnismit dem bei Frauen äußerst stürmischen und extrem besitzergreifendenFilmregisseur. Sie brachte 1959 Maria zur Welt und heiratete BergmansNachfolger und gleichzeitigen Vorgänger Jan-Carl von Rosen. Diesenließ sie wie die Tochter im Glauben, er sei der Vater. Dabei bliebdie öffentlich nie in Erscheinung getretene Schwedin auch, als sie1970 zu Bergman zog, den inzwischen weltberühmten Filmemacherheiratete und sich dessen Forderung fügte, die 11-Jährige mit ihrendrei anderen Kindern zu verlassen. Weil auch der verlassene Ex-Mannaus dem gemeinsamen Haus auszog, blieben die vier Kinder mit einerHaushälterin allein zurück.

1995 starb Ingrid von Rosen an Darmkrebs. Den Verlauf der sechsKrankheits-Monate schildern der Witwer und die Tochter mit ihrenTagebuchaufzeichnungen und denen der Toten in aller Öffentlichkeit.Bergman selbst notiert immer wieder Verzweiflung über seineEgozentrik («wie ein kleiner Junge von 76 Jahren») und dasUnvermögen, der Kranken zu helfen («wie ein alter rissiger Pott, derbis zum Rand mit abgestandenem Selbstmitleid gefüllt ist»).

Ingrid von Rosens Eintragungen, bis zwei Wochen vor dem Tod, sindfast ausschließlich praktisch orientiert und schildern ohneGefühlsausbrüche ihren Kampf mit Schmerzen, Gewichtsverlust,Schlaflosigkeit, Bestrahlungen, Operationen, Haarausfall. TochterMaria, in der Krankheit die wichtigste Stütze für die Mutter,reflektiert in ihrem Tagebuch auch immer wieder ihr schwierigesVerhältnis zum oft übermächtig erscheinenden Bergman.

Ob Ingrid von Rosen mit der Veröffentlichung der Tagebüchereinverstanden war, wird von den beiden anderen Beteiligten mitkeinem Wort erwähnt. Bergman begründet die Veröffentlichung des«schroffen und unpolierten» Textes als «Teil von Trauerarbeit».Deshalb habe er auch Passagen voller «mahlender Monotonie»unbearbeitet übernommen. Gemeint sein könnten Textstellen überKrankheitssymptome oder auch die Gestaltung gemeinsamer Abende mitder kranken Ingrid vor dem Fernseher. Hier erfährt der Leser, dassder 1997 in Cannes von Kollegen zum wichtigsten Filmregisseur allerZeiten gekürte Schwede zusammen mit seiner Ehefrau vorzugsweiseKrimis einschaltete - vorzugweise die deutsche Serie «Ein Fall fürZwei».

Die schwedischen Rezensionen über Bergmans ersteBuchveröffentlichung nach seinem Film-Comeback «Sarabande» (2002, amFreitag um 20.45 Uhr auf 3sat) sind eher zurückhaltend ausgefallen.Gezeigt werde weniger die Katastrophe des Todes, meinte der Kritikervon «Expressen». «Es ist eine einzigartige Schilderung derKatastrophe, die das Leben ist»: Maria von Rosen als verlassenes,verratenes Kind sei das wahre Zentrum des Buches. Als deren Motiv fürdas Buch vermuten manche Wiedergutmachung. «Expressen» sieht dasanders: «Bergman tut es gut, sich öffentlich zu kasteien.»