Schriftstellerin Schriftstellerin: Lewitscharoff setzt auf plastische Helden

Berlin/dpa. - Nach ihrem gefeierten Roman «Pong», für den sie 1998 den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt, und ihrem zweiten Werk «Der höfliche Harald»erschuf sie nun die Figur Montgomery, die ihrem jüngsten Buch auchden Titel gab. Die psychologisch ausgefeilte Geschichte erzählt vonden letzten Tage im zwiespältigen Leben des FilmproduzentenMontgomery Cassini-Stahl, der in Rom an seinem Lebensprojektarbeitet, einer Neuverfilmung des Jud Süß-Stoffes. Eine gewisseParallele gibt es zwischen Montgomery und seiner Schöpferin: Derinnerlich zerrissene Romanheld hat italienische und schwäbischeWurzeln, während Lewitscharoff Tochter eines russisch-orthodoxenVaters aus Rumänien und einer Schwäbin ist. Aber die Autorin wehrtweitere Ähnlichkeiten ab: Sie trage zwar keinen schwäbischen Namen,doch damit höre die Analogie auf.
Im Gegensatz zu etwas «verrückten» Kunstfigur Pong, einem hinterder Sprache gewissermaßen versteckten Zeitgenossen, zeichnet dieihrem neuen Roman einen sehr plastisch und real wirkenden Helden,dessen Konflikt den Leser in Bann zieht. «Monty muss sich unbedingtvom Papier lösen, ich wollte einen Romanhelden erschaffen, an dem derLeser Anteil nimmt, um den der Leser bangt», betont die 48-jährigeSchriftstellerin. «Es steckt System dahinter, dass beide Figuren sogrundverschieden sind: Ich will immer schnell von dem weg, was ichzuletzt geschrieben habe und auf keinen Fall auf ein ähnlichkonstruiertes Bild zurückgreifen», sagt die Autorin. Trotz diesesGrundsatzes will sie «wiedererkennbar» sein und kein «schreibendesChamäleon».
Ihre liebe Not hat sie nach einiger Zeit mit ihren Werken: Es seiwie ein alter Latschen, es treibe sie dann in eine völlig andereRichtung. «Diese allgemeine Unzufriedenheit ist sehr produktiv. Wennich ein Buch als völlig geglückt betrachten könnte, würde ich fürimmer den Griffel aus der Hand legen. So aber flüstert mir eineStimme zu: Du kannst es ja noch besser». Sie halte es für großen«Stuss», wenn viele ihrer Kollegen wegen unerträglichenErwartungsdrucks jammerten, unter dem sie angeblich stehen. «Ichbemitleide da eher denjenigen, der keine Arbeit hat oder keinObdach», sagt sie. Mit Kritik könne sie gut umgehen: «Wenn es einenerwischt, ist das nicht schön, aber man muss trotzdem immer damitrechnen, dass man von Kritikern wüst hergenommen wird.» Bisher wardas bei ihr nicht der Fall, und auch der Roman «Montgomery» wirdziemlich einhellig gelobt.
Lewitscharoff verfügt über viele Talente. Sie ist auch Autorin vonRadiofeatures und Hörspielen, hat das Grammatik-Brettspiel «Satzbau»erfunden. Sie gehört zudem zu den wenigen Schriftstellern, die ihreBücher selbst gestalten. Bereits in ihrem ersten Buch «36 Gerechte»fertigte sie zu den Prosatexten Scherenschnitte, und in ihrem 1999erschienenen Roman «Der höfliche Harald» stammen die Illustrationenaus ihrer Feder. Zu «Montgomery» gibt es einen von ihr gefertigtenUmschlag, im Original eine kunstvolle Flechtarbeit aus Papier.
Am Anfang aller Texte steht bei Lewitscharoff das Notizbuch. Sieliebe dieses erste Stadium mit Bleistift und Arbeitsbuch, in das sieihre Einfälle schreibt. Dann sei die Schreibmaschine an der Reihe,und erst darauf folgt der Computer. Bei «Pong» gab es keinen Plan,damals ging sie völlig anders zu Werke. «'Pong' habe ich der Nasenach geschrieben, ohne genau zu wissen, wie die Geschichte ausgeht»,sagt die Verfasserin. Was den Leser als nächstes erwartet, willLewitscharoff nicht verraten, einen neuen Roman will sie jedoch nichtunbedingt schreiben. Ob nach der männlichen ein weiblicher Heldfolgen könne, schließt sie nicht aus, doch die Faszination für dasandere Geschlecht sei größer. Sie ist überzeugt: «Die bestenFrauenfiguren stammen von Männern, deshalb sollten sie sich unbedingtimmer Frauen vornehmen.»