«Schriftsteller treffen Politiker» «Schriftsteller treffen Politiker»: Gerhard Schröder bei den Intellektuellen

Berlin/dpa. - Doch zuerst liest Schneider («Der Mauerspringer») aus seinem neuenBuch «Und wenn wir nur eine Stunde gewinnen...» über den MusikerKonrad Latte, der als Jude in einem Berliner Versteck denNationalsozialismus überlebte. Der Kanzler lobt die wohltuendzurückhaltende Sprache des Autors, fühlt sich von Lattes Schicksal,der an diesem Abend im Publikum sitzt, sichtlich ergriffen.
Schröder, dem Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen, sind Büchernicht in die Wiege gelegt worden. «Welches Buch gab es im Haus ihrerMutter - wenn überhaupt eines», stößt der Moderator das Gespräch an.Irgendwo habe die Bibel gelegen, aber die habe er erst als angehenderKonfirmand zu Gesicht bekommen, erinnert sich der Kanzler. Nein,Bücher hätten nicht zum Alltag seiner Kindheit gehört, dann eherWestern-Hefte, keine Comics, sondern richtige Textbändchen. Späterseien dann die Werke vom Buchclub hinzugekommen, der Kanzler erinnertsich an eine 24-bändige bebilderte Weltgeschichte, die heute noch inseinem Regal stehe.
Am tiefsten berührt hat ihn nach eigener Aussage damals WolfgangBorcherts Nachkriegsdrama «Draußen vor der Tür», die Geschichte einesMenschen, der heimkehren will und nicht hereingelassen wird. Über denzweiten Bildungsweg und später während des Jurastudiums in Göttingensei sein Verhältnis zur Literatur, auch zu Malerei und Musik engergeworden. «Ich musste mir das alles erst erarbeiten», sagt Schröder,der Günter Grass, Martin Walser und Durs Grünbein zu seinenLieblingsautoren zählt. Werke wie das des Historikers Heinrich AugustWinkler über Deutschlands Weg in den Westen nehme er sich sonntags,«wenn ich zwei Stunden Zeit habe», zur Lektüre vor oder blättere inihnen abends vorm Schlafengehen.
Ein wenig Wehmut mischt sich in Schröders Erinnerungen, als erüber sein Verhältnis zur Studentenbewegung der 60er Jahre spricht.«Ich wäre gerne dabei gewesen», bekennt der Kanzler, «es war dieZeit, in der man richtig revolutionär werden konnte. Bei mir hat esnur für die SPD gereicht». Während des Studiums habe er oft dasPrivileg genossen, bis mittags im Bett liegen zu können. «Ich habe die Revolution einfach verschlafen», kokettiert er heute.